Brühler Kunstverein
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Bernd Schwarting - Seelenfresser

Ausstellung vom 18. Januar bis 14. Februar 2004

 

Er greift in die Farbe wie in lehmige Erde. Streicht mit der Hand Feuerrot wie Lindgrün und sprühendes Gelb auf die endlos weite Fläche der Leinwand. Bernd Schwarting zaubert reich orchestrierte Farbenpracht, schafft wuchernde Stränge, Blätter und Blütenartige, die das Gemälde wie eine üppige Natur erscheinen lassen.

Es sind oft großformatige (2,60 x 4,00 Meter) "Farbschlachten", deren malerische Vitalität den Betrachter geradezu überfällt. Schwarting malt naturhaft wuchernde Organismen von flammender Intensität und leuchtendem Kolorit: Seine vegetabilen wie auch animalisch anmutenden, eruptiven, teils floralen Elemente erinnern in ihrer Prächtigkeit an trockene, teils verwesende, teils noch im pulsierendem Saft stehende Organe, Blüten, Pilzartige oder Früchte in unterschiedlichsten Mischformen der Phantasie wie auch des scheinbar Realen.

Seelenfresser; ©Bernd Schwarting
Bernd Schwarting - Serie: "Seelenfresser"
2003, 260x200cm, Öl/Kohle auf Lwd.
 

Am Ausgangspunkt steht immer die ungrundierte Leinwand, auf die Schwarting mit den Händen, dem Pinsel oder der Zeichenkohle impulsiv -und doch einer inneren Notwendigkeit folgend - die ersten Zeichen und Formen setzt. Vergleichbar mit dem Wachstum in der Natur entwickeln sich seine Bilder gleichsam von innen heraus. "Ich will die Bilder finden, nach denen es mich drängt und nach denen ich mich sehne...", bekennt sich Schwarting, der in seine Bilder geradezu hineinzuhorchen scheint. In unerhörter Spannung und kompositorischer Dynamik enthalten und transzendieren sie die urmenschlichen Themen des begrenzt Zeitlichen, des Sexuellen, der Angst und des Todes. Insofern ist der Mensch also stets anwesend in Schwartings eigenwilliger und hintergründiger Bildwelt. Er ist impliziert als ein in Spannung Stehender, mit seiner Existenz Ringender. Die Malerei Schwartings könnte also geradezu eine Metapher dessen sein, wo es um Fressen-und-gefressen-werden geht. Es bleibt vieles zu entdecken in den Bildern dieses zart wirkenden Mannes, der als Maler über Kraft und bildnerische Energie ohne Ende zu verfügen scheint.
"Wer beherrscht hier wen?" könnte die sich dem Betrachter aufdrängende Frage lauten.
© Dr. Marcel Bonét

Biografie

Bernd Schwarting, geboren 1964 in Stade, lebt und arbeitet in Berlin. 1986 bis 1988 hat er zunächst in Oldenburg Kunst und Musik studiert. Anschließend war er mehrere Jahre als selbstständiger Fotograf tätig. 1993 begann er an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden ein Malerei- und Grafik-Studium. 1994 Wechsel an die Hochschule der Künste in Berlin. Bis 1998 studierte er bei Prof. Walter Stöhrer. Seit 1998 ist er Meisterschüler.
Unter anderem erhielt er 1999 den 1. Preis das Max Ernst Stipendiums der Stadt Brühl und 2000 das Karl-Hofer-Stipendium, Berlin.

Schwarting wird durch mehrere Galerien vertreten und hat seit 1997 zahlreiche Ausstellungen, darunter Kunsthalle Marburg, Galerie der Stadt Osnabrück, Kunstverein Bielefeld.
Messebeteiligungen: Art Cologne, Art Frankfurt, Art Kopenhagen, Kunst Köln.


 Auszüge aus der Eröffnungsrede von Prof. Dr. Andreas Beaugrand

  [...] Seit seiner Zeit bei Walter Stöhrer stellt Bernd Schwarting aus - immer wieder in Berlin, bereits 1999 auch in der Galerie der Stadt Brühl anläßlich der Verleihung des Max-Ernst-Stipendiums, in Köln, München, Osnabrück, Frankfurt, Hamburg, Bremen, Kronach, Rantum/Sylt, Marburg, Ovelgönne, Konstanz oder Enschede.

Das hat seine Gründe: Bernd Schwarting will und muß malen. Er hat versucht, es zu lassen und eine "vernünftige" Tätigkeit auszuüben; das ist gescheitert.
Bernd Schwarting,© G.Wagner

Bernd Schwarting beim Aufhängen der Bilder
 

Sein Atelier ist mitten in Berlin in einem für die Stadt typischen Gebäudekomplex im Hinterhof. Neben Handwerksbetrieben arbeiten dort Künstler. Wo Bernd Schwarting jetzt arbeitet, schuf 16 Jahre lang sein Lehrer, der berühmte Maler Walter Stöhrer, seine großartigen Bilder. Und gleich um die Ecke schrieben der junge Georg Baselitz, Reinhard Lange aus Hameln, Fred Thieler und viele andere mit der Großgörschen-Galerie bundesdeutsche Kunstgeschichte. "Hier sind die Spuren der Vätergeneration gegenwärtig", sagt Schwarting. Doch dann wechselt er den Blick: "Aber die Herausforderung muß jeder selbst bestehen." Und die hat es in sich. Das freie Leben als Künstler meistern nur wenige. Bilder malen, Galeristen kontaktieren, Käufer und am besten Sammler finden - von Museumskuratoren ganz zu schweigen: Jeder Künstler ist Produzent und Manager in einer Person.

[...] Malerei entsteht durch organisierte Farben und Formen auf einer abgegrenzten Fläche. Gerade durch die bewußte Begrenzung auf die große Leinwand oder die kleine Zeichnung erreicht sie Komplexität und Tiefe. Sie ist der direkteste Ausdruck des Menschen, seine Empfindungen zu projizieren. Nur die Malerei kann Empfindung und Geist im reinsten Sinn zur Deckung bringen, und ich bin mit anderen der Überzeugung, daß die sinnliche Unmittelbarkeit von keinem anderen künstlerischen Medium übertroffen wird.
Was liegt hinter der Realität, die wir glauben in wissenschaftlicher Analyse rational erfassen zu können? Die Malerei kann Unsichtbares in der Durchdringung des Sichtbaren zum Vorschein bringen.
Parallel zur Intensität des Realen schafft die Malerei die Imagination des Bildes. Sie will die Welt wieder als ein Ganzes sehen. Jeder Schritt in der Malerei steht im Kontext zu anderen gemalten Bildern in der Geschichte. Vielleicht stehen wir heute vor einer neuen Phase in der Kultur, die wieder eine Synthese allen verstreuten Denkens und Wissens anstrebt. Was ist das Geheimnis der emotionalen Wirkung großer Malerei? Welche Gesetze stehen hinter ihrer Schönheit? Delacroix sagt, es ist das erste Verdienst eines Bildes, dem Auge ein Fest zu sein. Suchen wir also das Zeitlose, das Wesentliche in der Malerei, ihre Tiefe und Rätselhaftigkeit. Die Kunst geht andere Wege als Wissenschaft und Technik. Die Kunst ist der einzige Ort der Freiheit in unserer verwalteten Welt. Die Malerei ist die direkteste Übersetzung vom Kopf über die Hand zum Kunstwerk.

1990 stellte John Berger in seinem Buch "Das Sichtbare und das Verborgene" mit Recht fest, daß - ich zitiere - "Kunst dem Menschen in der modernen Welt helfen kann, seine gesellschaftliche Position zu bestimmen. Kunst ahmt die Natur nicht nach, sie ahmt eine Schöpfung nach - manchmal, um eine andere Welt vorzuführen, manchmal nur, um die kurze Hoffnung, welche die Natur bietet, zu erweitern, zu bestärken, gesellschaftlich zu machen. Kunst ist eine wohlgeordnete Antwort auf das, was uns die Natur gelegentlich ganz kurz wahrzunehmen erlaubt. Kunst versucht, die Möglichkeit des Wiedererkennens dauerhaft zu machen."

So schaffen auch die hier und heute ausgestellten Bilder Beispiele einer Wahrheit, wie sie so pointiert und bedeutungsvoll im gewöhnlichen Alltag nicht anzutreffen sind. Hier werden neue Bezüge zwischen Formen und Farben hergestellt, man sieht zunächst Unvertrautes, Fremdes, das sich bei näherer Betrachtung als zunehmend bekannt und vertraut, später vielleicht sogar als schön erweisen wird. Das kann Diskussionen auslösen.

Das einzige, was ich Sie bitte, in Ihrer Diskussion zu berücksichtigen ist, daß Kunst eine Sprache ist, deren Grammatik und Vokabeln man lernen muß, denn auch die hier vorgestellte Kunst sind Bilder und keine Worte, wie wir sie landläufig verstehen. Es geht hier nicht um das, was man mit Worten beschreiben kann. Um diese Arbeiten zu erfassen, braucht es Wahrnehmung, Geist und Emotionalität. Diese Bilder sind keine Abbildungen von der bekannten Welt, sondern die Essenz von etwas: einer Idee, einer künstlerischen Wahrnehmung oder eines kreativen Prozesses. "Das Kunstwerk ist nur ein Anhalten im Werdenden und nicht ein erstarrtes Ziel," hat El Lissitzky einmal formuliert. Damit stehen diese Arbeiten für einen Dialog des Betrachters mit der Kunst und mit sich selbst. Es wird deutlich, daß Kunst heute immer noch und auch in Zukunft ein bedeutender Weg ist, künstlerische Zeichen zu setzen, daß sie einen Mehr-Wert darstellt, den man begeistert verstehen kann - wenn man will. Mit Kunst zu kommunizieren heißt, Kunst als Leben, das eigene Leben zu begreifen.

© Prof. Dr. Andreas Beaugrand; es gilt das gesprochene Wort