Brühler Kunstverein
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Susanne Waltermann - Übermalungen - Objekte

Ausstellung vom 14. November bis 4. Dezember 1999

Eine helle Esstischgruppe, von einem sonderbaren Lichtschein umgeben, schwebt gespenstisch vor einem bräunlich-undefinierbaren Hintergrund. Auch die uns so vertraute Einbauküche erscheint durch ihr fast phosphoreszierendes Leuchten unheimlich - ganz zu schweigen von der sonst so gemütlichen Couchgarnitur, die, umgeben von wurmartigen Röhren, schon eine fast gruselige Atmosphäre heraufbeschwört. Und es geht noch weiter: Statt leckerer Esswaren werden uns auf weißen, sauberen Papptellern Abfälle wie Kirschkerne und Fischgräten oder gar ein Froschkadaver serviert.

Waltermann

Susanne Waltermann provoziert den Betrachter, indem sie ihm vertraute Gegenstände in ungewöhnlichen Zusammenhängen und Kombinationen präsentiert: Die heimelige Wohnwelt erhält dadurch einen unwirklichen, fast schon unheimlichen Charakter; und Abfälle, die gewöhnlich in den Mülleimer gehören, werden uns nun, fein säuberlich aufgereiht, vor Augen geführt.

Die Künstlerin stellt im Brühler Kunstverein zwei Werkgruppen vor, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander verbindet. Doch zeugen beide Werkgruppen von der Beschäftigung Susanne Waltermanns mit dem Alltäglichen. Ihre übermalten Möbelprospekte spiegeln ihre Auseinandersetzung mit unserer Wohnkultur, während sie mit ihren Objekten banale Utensilien, Lebensmittel oder Abfälle unseres Alltags auf einem Tablett präsentiert.

Den Ausgangspunkt für ihre übermalten Möbelprospekte führt die Künstlerin überraschenderweise auf ihr Interesse an alten maltesischen Tempelanlagen zurück. Die architektonische Konstruktion dieser Ruinen, die Raumformation mit ihren Winkeln und Ecken, die Anordnung der Steinschichten und das gebaute System hatten vor einigen Jahren ihre Aufmerksamkeit geweckt. In ihrer Malerei haben damals die waagerechten und senkrechten Lagerungen der geschichteten Steine Raum eingenommen.
Die Beschäftigung mit diesen Tempelanlagen führte die Künstlerin zu der Fragestellung: Wo finden wir heute in unserem alltäglichen Leben eine Entsprechung zu solchen heiligen Stätten? Susanne Waltermann sieht ironischerweise ein Äquivalent in den "geheiligten Hallen" der Einbauküche: die Küchenzeile als "heilige Stätte" innerhalb der Wohnung. Formal Vergleichbares zwischen diesen beiden "Stätten" entdeckt die Künstlerin in dem jeweiligen Aufbau aus einzelnen "Bauteilen": bei den Tempelanlagen die mächtigen Steinquader, bei der Küche die Schrank- und Regalbauteile. Beiden gemeinsam ist somit das "Baukastensystem", in dem Einzelelemente nach einem bestimmten System zusammengebaut werden.

Diese Überlegungen bewirkten, dass Susanne Waltermann Anfang der 90er Jahre ihre erste Küche gemalt hat. Sie trug dafür dunkle Farben auf die Leinwand auf und kratzte dann die oberen Schichten entsprechend der Form einer Einbauküche wieder ab. Auf diese Weise hob sich die Küchenform hell von dem dunklen Hintergrund ab. Vorlagen fand die Künstlerin in den Abbildungen der Möbelprospekte, die wir alle ständig in unseren Briefkästen und Tageszeitungen finden.
Wenig später begann sie, diese Möbelprospekte direkt zu übermalen. Sorgfältig sucht sie sich dafür ihre Vorlagen aus. Besonders interessieren sie die Grundbausteine einer Wohnungseinrichtung, wie sie uns von der Möbelindustrie angeboten werden: das Schlafzimmer mit Ehebett, Nachttischchen und Nachttischlampen, das Wohnzimmer mit Couchgarnitur, das Esszimmer mit Tisch und Stühlen und die über Eck angeordnete Einbauküche. In diesem ewig gleichförmigen Warenangebot erblickt die Künstlerin eine Normierung unserer alltäglichen privaten Lebensabläufe wie Kochen, Erholen, Schlafen und Beisammensein mit Freunden.

Übermalte die Künstlerin anfänglich Originalprospekte, so arbeitet sie nun mit Fotokopien. Der Vorteil liegt für sie in der besseren Papierqualität und in der variablen Bestimmung des Formats. Diese Vorlagen werden auf Leinwand kaschiert und dann in einer Mischtechnik aus Öl, Aquarell und Eitempera übermalt. Manchmal benutzt die Künstlerin Schelllack oder Aquarellfarbe als Untergrund, um einen wärmeren Grundton als Basis zu bekommen. Susanne Waltermann arbeitet nur mit wenigen Farbtönen, oft mit weiß, gelb und einem bräunlichen Asphaltlasurton. Durch die Übermalung löscht sie alle nebensächlichen Details der Möbel und des umgebenden Hintergrundes aus. Sie sind nun auf ihre wesentliche Gestalt reduziert und somit als schablonenhafte Grundelemente erkennbar. Die Möbel sind oft in einem hellen Farbton vom dunklen Hintergrund abgehoben, der keine eindeutigen Raumverhältnisse preisgibt. Sie scheinen dadurch wie in einem gespenstischen Lichtschein im Raum zu schweben. Diese Art der "Beleuchtung" hebt die Möbel hervor wie auf einer Bühne. Es sind menschenleere, undefinierbare und obskure Lebenswelten, die hier vorgeführt werden: Da alles Persönliche und Private ausgelöscht ist, werden diese standardisierten Möbel zu Zeichen einer normierten, farblosen und beklemmenden Lebensweise. Unsere private Wohnwelt wird degradiert zu einer uniformierten Lebensformel.

In diese kritische Betrachtung können sich aber auch ironische und komische Aspekte schieben, wenn Susanne Waltermann zum Beispiel über einer Couchgarnitur eine Reihe von Hirschköpfen erscheinen lässt und damit die Szenerie fast ins Makabere steigert.
Dieses Bild lässt sich nun einer Gruppe von Werken zuordnen, in denen die Künstlerin die Möbeln in irritierender und verfremdender Weise mit "Zutaten" kombiniert. Das können neben den Reihen von Hirschköpfen auch Alltagsgegenstände wie aufgereihte Eimer oder Töpferwaren sein. Als ein besonders markantes "Utensil" entpuppen sich gewundene Röhren, die die Möbel umgeben. Nicht selten erinnern sie an Heizungsrohre, Bandwürmer oder aber auch an "Gedärme".

Diese Elemente tauchen in den Arbeiten von Susanne Waltermann immer wieder versatzstückartig auf. Zum Teil näht oder klebt sie auch gefundene Gegenstände in ihre Bilder ein. Aus solchen Fundsachen entwickelte die Künstlerin später eine eigene Werkgruppe. Fügte sie beispielsweise zunächst in einem Bild reale getrocknete Sardinen ein, so werden diese später in ihren Objekten zum eigenständigen Gestaltungsmittel.

Schon seit ungefähr 7 Jahren arbeitet die Künstlerin parallel zu ihrer Malerei an ihren Objekten. Die Idee dazu entstand durch die Aufforderung einer Bekannten, Susanne Waltermann möge ihr doch eine Einladungskarte für ein Essen gestalten. Anfänglich ging sie etwas lustlos an diese Aufgabe heran, bis sie in einem "Bastelbuch" einen Pappdeckel entdeckte, auf dem Pommes frites dekoriert waren. Diese Idee entwickelte die Künstlerin für ihre eigene Arbeit weiter. Von da an sammelte sie alle möglichen Gegenstände, von Pflanzenblättern über Algen, vertrockneten Tieren, Fischgräten, Hundekuchen bis hin zu Obstkernen.

Bei der Auswahl der Gegenstände ist ihr wichtig, dass es sich um Objekte ohne dekorativ-schönen Charakter handelt, und so rückt sie mit ihren Arbeiten eher das Kuriose, Banale und Kleine in den Blickpunkt. Diese Fundobjekte aus der Natur, den Warenhäusern und der eigenen Wohnung werden, oftmals in Reihen angeordnet, äußerst akribisch auf kleinen Papptellern festgenäht. Damit irritiert Susanne Waltermann den allgemeinen Ordnungssinn des Betrachters: Wenn sie - oft "unappetitliche" - Verfallsprodukte des Lebens auf sauberen Papptellern präsentiert, auf denen uns sonst Essbares serviert wird, dann verwundert es nicht, wenn der Betrachter solche Kombinationen als unangemessen empfindet.
Die Rahmung der Objekte - staubdicht hinter Glas - führt zu einer Ästhetisierung der Fundsachen und "hebt" damit ihren Stellenwert. Zugleich erinnert das an Herbarien, an Insektensammlungen oder Wunderkammern mit Kuriositäten aus aller Welt. Doch die Künstlerin sammelt nicht das Edle, Fremde und Seltene, sondern das allzu Bekannte: Abfälle des Alltagsleben, Verfallsprodukte der Natur - aber auch die Kuriositäten und Auswüchse des Warenangebots, wie z.B. Hunde- und Katzenfutter in Knusperherzform zum Verwöhnen der kleinen Lieblinge.

Die Präsentation von Banalem und Gemeinem, Unansehnlichem und "Unsauberem", kontrastreich in einen Rahmen von Akkuratem und Säuberlichem gesetzt, irritiert unsere allgemeinen Vorstellungen darüber, was passend und zusammengehörig ist, bzw. darüber, was wir als unpassend und unstimmig empfinden. Somit verweist die Künstlerin auf die Bedeutung der Ordnung als strukturierendes Prinzip, nicht nur in der Kunst, sondern auch im Leben. Sie lenkt mit ihren Werken den Blick auf die unseren Alltag bestimmenden Ordnungsvorstellungen, indem sie Vertrautes in ungewöhnlichen - und im landläufigen Sinne unangemessenen - Zusammenhängen und Kombinationen präsentiert. In der Betonung und gleichzeitigen Infragestellung dieser Normen sieht die Künstlerin auch einen Brückenschlag zum Thema ihrer Malerei: Das kritische Aufmerksam-Machen auf ein allzu geordnetes und gleichförmiges Möbelangebot, das in seiner Monotonie und Starrheit ein fast unheimliches Eigenleben bekommen kann.

Liane Heinz M.A., Kunsthistorikerin