Brühler Kunstverein
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Ute Nagelschmidt - Textile Objekte

Ausstellung vom 10. Mai bis 6. Juni 1998

Auf den ersten Blick registriert man Bekanntes, doch beim näheren Hinsehen ist man verwundert: Röcke, Mieder, Strumpfhosen und Büstenhalter werden in den Blick gerückt. Aber diese alltäglichen Kleidungsstücke treten uns hier in einer sonderbaren Form und Installation entgegen - nicht so, wie wir sie aus dem Alltag kennen. Sie haben die ihnen bis dahin zugewiesene Welt verlassen, um sich nun auf eigentümliche Weise in der Welt der Kunst zu zeigen und zu tummeln.

Nagelschmidt

Mit der Verwendung von Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens steht die Kunst Ute Nagelschmidts in der Tradition der Nouveaux Réalistes, einer Künstlerbewegung der sechziger Jahre. Auch diese Künstler benutzten Gegenstände des Alltags und integrierten sie in die Kunst, um damit der Kunst einen größeren Realitätscharakter zu verleihen und diese mehr mit dem alltäglichen Leben zu verbinden.

Ute Nagelschmidt nimmt Dessous, entfernt sie aus der Gebrauchswelt und transportiert sie in die Welt der Kunst, indem sie sie verfremdet und einer Veränderung unterzieht. Einfache Büstenhalter, Mieder und Korsagen werden dergestalt präpariert, dass nur noch das "Gerüst" stehenbleibt, d.h. alle Flächenteile werden entfernt. Dass die Dessous von ihren textilen Flächen befreit sind, macht sie zarter, filigraner. Dieses "Gerüst" eines Büstenhalters oder Mieders wird dann in einen eigens dafür angefertigten schlichten Rahmen oder Behälter aus Holz gehängt. Darüber spannt die Künstlerin Gaze im gleichen Farbton, den auch die Dessous besitzen.

So rückt sie diese ganz alltäglichen Kleidungsstücke in ein völlig anderes Licht: Die Unterwäsche wird ihrer stützenden, formverbessernden und damit auch einengenden Funktion enthoben. Sie erhält einen neuen Sinngehalt durch eine Bedeutungsverlagerung: Was halten und formen soll, wird nun selber im Rahmen gehalten und getragen, was normalerweise einengt ("Mein Hüfthalter bringt mich um!"), wird nun durchlässig und geöffnet.

Damit gelingt es Ute Nagelschmidt, Mieder und Korsagen in Objekte von fast schwebender Leichtigkeit zu verwandeln.
"Für mich war es wichtig, diesen 'figurverbessernden' Bekleidungsstücken der Frau eine andere Präsentation zu geben, die das Gewohnte beinhaltet, gleichzeitig jedoch im Betrachter ein neues Bild, losgelöst von jeglichem Gebrauchswert, entstehen lassen kann" (Ute Nagelschmidt).

Mit den Dessous nimmt Frau Nagelschmidt etwas, das eigentlich in den Bedeutungsraum des Intimen, Körpernahen und Privaten gehört, und versetzt es nun in einen öffentlichen Ausstellungsraum. Jedoch gibt sie den Textilien durch die zarte, transparente Verschleierung über den Rahmen und Holzbehältern auch wieder einen intimen Charakter. Damit gelingt ihr das Kunststück, ihre Objekte so zu gestalten, dass sie sowohl öffentlich sichtbar aber auch von der Umgebung abgeschirmt sind. Denn, versetzt in einen eigenen kleinen Raum, in dem die Dessous wirken können, sind sie präsent und doch verhüllt und deshalb separiert. Damit schafft Ute Nagelschmidt auf der Ebene des Künstlerisch-Ästhetischen ein Äquivalent zu dem erotischen Spiel des Verschleierns und doch Durchscheinenlassens.

In diese Welt der ästhetischen Leichtigkeit gehören auch die Nylon-Strümpfe: Mal werden sie zu kleinen Kreisen zusammengerollt und wie zu einer Blüte konzentrisch auf dem Fußboden arrangiert, ein andermal werden sie über Plexiglas- oder Glasbehälter gezogen und bekommen damit eine andere Form. Zugleich werden Transparenz und Feinheit des Gewebes wirksam. So werden - je nach zugrundeliegender Form und Anbringung - die unterschiedlichsten Assoziationen möglich.

Der Charakter des Zarten und Feinen, des Transparenten und Ästhetischen setzt sich ebenfalls in den auf Gaze gemalten Kleidern fort. Nun sind es nicht mehr reale Dessous oder Kleidungsstücke, die die Künstlerin gestaltet, sondern hier zeichnet sie mit Aquarellfarbe Kleider auf durchsichtigen Voile.

Doch erschöpft sich die Ausstellung von Frau Nagelschmidt nicht in der Präsentation des Fein-Stofflichen. Mit ihren "Rock-Objekten" und gefüllten Miedern schafft sie einen undurchsichtigen und plastisch-kompakten Kontrapunkt.
Die in hölzerne, fast quadratischen Gestelle gehängten plissierten Röcke sind aus blickdichtem Gewebe und wirken damit geschlossener und handfester als die zuvor beschriebenen Arbeiten. Da die Röcke zwischen den vier Beinen des Gestells sichtbar bleiben, kann sich die Plisseestruktur von der Struktur des Holzes abheben.
Die mit Watte gefüllten Miederhöschen an den Wänden bilden voluminöse und massive Gegenstücke zu der transparenten Unterwäsche in den Rahmen und Kästen. Plastisch wirken sie wie Torsi.

In diese so ästhetisch gestaltete Objektwelt hinein setzt Ute Nagelschmidt aber auch einen humorvollen Kontrast: Kleine, bunte Knöpfe, in der Regel untergeordnete Mode-Utensilien, werden völlig unbearbeitet, samt dem Verkaufskarton an die Wand geheftet. Kombiniert mit den Kartonrückseiten, die die Befestigungsnähte zeigen, vermitteln diese Knopfreihen einen eigentümlichen graphischen Reiz. Sie runden - zusammen mit einer kleinen Galerie altertümlicher Abbildungen von Damenmode - den Bereich dieser von der Künstlerin geschaffenen Kunst-Welt ab, in der "banale" Kleidungsstücke durch die Art der Präsentation eine seltsam-fremde Schönheit gewinnen.

Liane Heinz M.A. (Kunsthistorikerin)