Brühler Kunstverein
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Adolphe Lechtenberg - Malerei und Zeichnung

Ausstellung vom 16. Mai bis 12. Juni 1999

 

Mit der abstrakten Malerei, die sich zu Beginn unseres Jahrhunderts Bahn brach, wurde - für die damalige Zeit revolutionär - die Darstellung von Natur und Naturformen durch die bildnerischen Elemente Linie, Fläche und Farbe ersetzt. Traten in der gegenstandsgebundenen Malerei die Eigenwirkungen von Linie, Farbe und Fläche im Auge des Betrachters hinter den dargestellten Szenerien zurück, so wurden sie nun, losgelöst von der Darstellung naturalistischer Themen, bildbestimmend. Diese Gestaltungselemente verloren somit ihre bis dahin bloß untergeordnete, dienende Funktion, und das Erlebnis von Form- und Farbkompositionen wurde zum Programm, zum Inhalt des Bildes. Mit der Loslösung vom Gegenstand gelangten sie zum souveränen Selbstwert und wurden zum primären und eigenständigen Mittel künstlerischer Gestaltung.

In der künstlerischen Ausdrucksform der gegenstandslosen Malerei gibt es keine Geschichten, keine Erzählungen mehr. Somit ist für viele Betrachter - bis heute! - der Zugang zu derartigen Gemälden erschwert. Andererseits werden aber auch Freiräume geschaffen: Man kann diese Werke abstrakt auf sich wirken lassen, man kann versuchen, ihr inneres Gefüge zu erspüren, oder man kann sie zum Ausgangspunkt für eigene Gedanken und Einfälle werden lassen.

Lechtenberg
o.T., Ölkreide auf Papier, 1998
© A.Lechtenberg
 

Farben haben ihre eigenen Wirkungen und Auswirkungen, vergleichbar musikalischen Tönen und Kompositionen. (Und kein Mensch würde etwa der Musik Mozarts oder einer Bach'schen Fuge vorhalten, dass sie doch "nichts darstellen"!).

Adolphe Lechtenberg begann mit gegenständlichen Arbeiten, konzentrierte aber im Laufe der Zeit seine Malerei und Zeichnungen immer mehr auf deren grundlegende Elemente (Linie, Fläche und Farbe) und deren eigene Ausdruckskraft: Wird seine Malerei durch den unterschiedlichen Auftrag der Farben, deren Wirkung und Flächenkomposition bestimmt, so tritt in seinen Zeichnungen wesentlich der Ausdrucksgehalt des Zeichenstrichs in den Vordergrund.
Für seine Werke verwendet der Künstler die unterschiedlichsten Farbmittel: Gouache, Aquarell, Acryl, Öl, Eitempera, Ölpastell, Farbstifte sowie verschiedene Bildträger: Papier, Leinwand und Holz.

Viele seiner malerischen Werke entstehen, indem der Malgrund auf dem Boden liegt. Bei der Farbgestaltung gebraucht Lechtenberg seine Hände als Äquivalent zum Pinsel. Spuren dieses "handfesten" Einsatzes, wie Finger- und Handabdrücke, zeugen vom Arbeitsvorgang und sind im Bild beabsichtigt.
Auf die Bildträger - seien sie nun aus Holz oder Leinwand - wird die Farbe zum Teil äußerst pastos, fast wie ein Farbkörper, aufgetragen. Die Malerei bekommt dadurch nahezu Reliefcharakter.

In dem Prozess des Malens sieht der Künstler einen Weg, etwas zu erforschen, zu erproben und zu entdecken. Daher ist der Beginn eines malerischen Werkes bei Adolphe Lechtenberg auch selten durch einen festen Entwurf bestimmt, dem er dann strikt folgt. Schon während des Malens registriert er, wie die Farbe in ihrer Eigengesetzlichkeit verläuft oder wie bestimmte Farben zusammenwirken. Diese Wahrnehmungen verändern wiederum seine Vorstellungen - er reagiert darauf, indem er steuernd, regulierend oder verändernd eingreift.
So experimentiert Lechtenberg auch mit der traditionellen Form des rechteckigen Gemäldes. Oftmals sind Ecken aus dem Rechteck herausgeschnitten oder -gesägt. Schmale lange Farbträger treten dem Betrachter genauso entgegen wie unregelmäßige Dreiecksformen. An den scharfen Winkeln der Bildträger brechen sich die oft wolkenartigen und amorphen Farbformationen. Die weichen, nebelartigen Farbflächen sind kontrastreich zu den kantigen Malgründen gesetzt. Diese legen den ausufernd erscheinenden "Farbwolken" gleichsam eine Beschränkung auf. Damit tritt zur bildinternen Farbkomposition spannungsreich die Form des Malgrundes.

Grundsätzlich wird Lechtenbergs Malerei durch die intensive Eigenwirkung der Farben und deren Verhältnisse zueinander bestimmt: So finden wir Hell-Dunkelkontraste, aber auch Ton-in-Ton-Abstufungen und harmonische Übergänge. Zugleich gibt der Künstler grundlegenden Spannungs- oder Kräfteverhältnissen farblichen Ausdruck: So finden wir spannungsvolle Gegenüberstellungen wie auch gegenseitiges Sich-Ergänzen, Zentrierungen oder Zerstreuungen, Überlagerungen oder Separierungen.
Beispielsweise wird durch die Zusammenballung von Farbe ein amorph erscheinendes Zentrum gebildet. Einem solchen Farbzentrum kann dann ein Gegengewicht in Form eines andersfarbigen Zentrums entgegengesetzt werden. Dabei kann ein Gleichgewicht der Kräfte entstehen - ebenso kann aber auch eine einzelne mächtige Mittelpartie alles andere an den Rand drängen und ihren alleinigen Dominanzanspruch geltend machen.
Ein anderes Verhältnis zeigt sich in der mehr oder weniger gleichmäßigen Verteilung fein aufeinander abgestimmter Farbtöne. Hier herrscht ein ausgeglichenes Verhältnis der Farben.
Nicht zuletzt stellt die Sichtbarmachung von "Licht" im Bild einen wichtigen Aspekt in der Malerei von Adolphe Lechtenberg dar: Wenn sich aus dunklen Partien intensiv leuchtende Farben herausentwickeln, so scheinen sie durch diesen Hell-Dunkelkontrast noch mal so stark zu leuchten, als wenn sie von Farben gleichen Charakters umgeben wären. Die dunklen Partien steigern somit die Leuchtkraft der helleren Farben.

Werden die malerischen Werke von Adolphe Lechtenberg durch die intensiv-leuchtende Farbwirkung und die Farb- und Flächenkompositionen geprägt, so tritt in der Zeichnung wesentlich der Zeichenstrich in den Vordergrund. Schneller und rascher entstanden als die Malerei, stellt die Zeichnung eher eine künstlerische Momentaufnahme dar. Sie ist ein direkter und unmittelbarer Ausdruck des künstlerischen Formwillens - im Gegensatz zur Malerei, die sich über Tage hinziehen kann und in der die Kompositionen immer wieder eine Überarbeitung erfahren können.

In den Zeichnungen von Adolphe Lechtenberg offenbart sich ein vielfältiges Zusammenwirken zwischen verschiedenen Zeichenstricharten, zwischen Strichen, Schraffuren und Flächen sowie zwischen Schwarz/Weiß und Farben.
Kurze, abgehackt und nervös wirkende Striche treten in Wechselwirkung zu wellenförmigen, langen und ruhigen Strichen. Damit werden gleichsam verschiedene Rhythmen thematisiert: Schnelle, ruckartige und stakkatoartige Passagen werden gegen langsame und weich-fließende Passagen gesetzt. Feine und zarte Striche treten in Korrespondenz zu starken und kräftigen Linien.
Die Striche können vereinzelt auftreten oder sich zu einem Liniengewirr verdichten, bis hin zu flächenartigen Zusammenballungen. Dabei können Flächenformation und Strichführung miteinander einen reizvollen Dialog führen: Neben-, über- und ineinandergelagert erreichen die Schraffuren und Striche verschiedene Grade der Annäherung und Separierung, flächenartiger Zentrenbildung und linearer Zerstreuung.

Die Flächen sind von unterschiedlicher Dichte und Konzentration: Zarte Schraffuren lassen sich genau so erkennen wie düstere, kompakte Zusammenballungen. Verschiedene Flächen sind von vielen Linien umlagert, andere werden nur ganz zart von wenigen Linien umspielt - als scheinen sich die Linien wieder aus der Verdichtung gelöst zu haben und sanft davonzuschweben.
Somit veranschaulicht Adolphe Lechtenberg verschiedenste Wechselwirkungen zwischen Flächen- und Linienformationen: Ein wildes, kraftvolles und dynamisches "Ringen" dieser beiden bildnerischen Elemente wird genauso vor Augen geführt wie ein zartes, fast spielerisches "Umtanzen".

Manche der Zeichnungen sind monochrom. Einige Blätter sind durch das Zusammenwirken zwischen schwarzen und farbigen Partien gekennzeichnet. Extrem gestaltet sich dieses Verhältnis in Blättern, in denen sich aus schwarzen, kompakten und bildbeherrschenden Flächenpartien einige stark farbige Linien herauslösen. Die Farbe scheint hier einen fast aussichtslosen "Kampf" gegen die "Übermacht" des Schwarzen zu führen. Auf der anderen Seite bringt das Schwarz die Farben jedoch erst recht zum Leuchten, verstärkt ihre farbige Intensität.

Diese mannigfaltigen Wechselwirkungen der bildnerischen Gestaltungsmittel, die Adolphe Lechtenberg uns mit seinen Zeichnungen und seiner Malerei so eindrucksvoll vor Augen führt, sind in ihrem Abstraktionsgrad sicherlich nicht so leicht zugänglich wie gegenstandsgebundene Gemälde und Zeichnungen. Doch wagt man sich erst einmal an die Erforschung ihrer Gestaltungsmittel heran und lässt man sich ein auf ihre Wirkungsweise, so erfährt man beispielsweise den Reiz und die Leuchtkraft eines kraftvollen Rot-Tons, die Zartheit eines Liniengespinstes oder das interessante Zusammenspiel unterschiedlichster Farbtöne oder Strichformationen.

Mit diesen Ausführungen und Anregungen ist Ihnen hoffentlich ein kleiner Zugang zu der oft als schwerverständlich geltenden gegenstandslosen Malerei und Zeichnung eröffnet, und ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Entdeckung der Werke von Adolphe Lechtenberg.

Liane Heinz M.A., Kunsthistorikerin

Weitere Informationen über A. Lechtenberg findet man auch beim Kulturserver NRW.