Brühler Kunstverein
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Birgit Jensen - sondern versetzt

Ausstellung vom 6. Juni bis 3. Juli 2004

 

Für die Ausstellung im Brühler Kunstverein hat Birgit Jensen eine Serie von Bildern konzipiert. Die spezielle räumliche Situation der Alten Schlosserei des Marienhospitals mit ihrer 19 Meter langen Wand gegenüber der Fensterfront bildet für die Künstlerin die Voraussetzung für ihre Bildinszenierung. Die Wand wird zu einem Teil zur Projektionsfläche für die Ansicht einer nächtlichen Stadt.

Es handelt sich dabei um eine Abfolge von Fragmenten einer Rundumsicht. Die Bewegung des Um-sich-selbst-Drehens, die notwendig ist um sich der räumlichen Ausdehnung einer Landschaft zu vergewissern, wird in der Installation aufgerollt. In der Ausstellung ermöglicht das Entlangschreiten an der Wand dem Betrachter die Gesamtansicht.

Stadtmotiv, 2004 © B.Jensen

Stadtmotiv, 2004, Acryl/Siebdruck auf Leinwand, 125 x 280 cm
 

Der Eindruck einer Stadt setzt sich zusammen aus der Anhäufung von Farbpunkten. Der Versatz der einzelnen Farben suggeriert eine Bildräumlichkeit, die von der räumlichen Ausdehnung des Landschaftsmotivs abweicht. Die Betrachtung oszilliert zwischen dem Gesehenen, dem Wiedererkannten, dem Bildhaften, Zeichenhaften und Dynamischen.

 

Biografie

Birgit Jensen wurde 1957 in Würzburg geboren. Von 1977 bis 1982 studierte sie an der Hochschule der Künste in Berlin. Sie lebt in Düsseldorf. Einzelausstellungen hatte sie u.a. in Düsseldorf (Galerie Michael Cosar), Zürich (Galerie Commercio), Thun (Kunstraum Wilfried von Gunten), Berlin (Marstall), Lübeck (Overbeck-Gesellschaft), Heinsberg (Kunstverein), Flensburg (Kunst&Co), Arnsberg (Kunstverein), Kiel (Galerie Sfeir-Semler), Mailand (Galleria Bruna Soletti). Birgit Jensen erhielt mehrere Stipendien (u.a. DAAD, Kunstfonds) und den Förderpreis der Stadt Düsseldorf 1992.

Birgit Jensen und Jens Peter Koerver; © G.Wagner

Birgit Jensen und Jens Peter Koerver
 


"Das eigentlich Interessante ist die Wirkung des Bildes."
Ausschnitte aus einem Gespräch zwischen Birgit Jensen und Jens Peter Koerver im Mai 2004 im Atelier der Künstlerin.

[...]
Birgit Jensen: Interessant wird es immer an der Schnittstelle, an der sich ein Schema als ein Schema entpuppt, zum Beispiel durch einen Fehler. Beim dreiteiligen Düsseldorf-Panorama geschieht das durch die Wiederholung einzelner Elemente, so wird deutlich gezeigt, dass es hier um die Darstellung einzelner Elemente geht und es wird erkennbar, was alles im Bild Sichtbare tatsächlich ist: ein Punkt oder die Kombination von Punkten.
Jens Peter Koerver: Und in der Summe sieht man alle diese Punkte als Stadtbild, als räumliche Darstellung. Im Grunde ist dieses gesehene Bild eine erhebliche Konstruktions- und Kombinationsleistung, bei der alle diese Punkte, die ja abstrakte Formen sind, umgebaut, umgedeutet werden zu etwas anderem.
BJ: Sie werden im Kopf zusammengesetzt, erhalten ihre Bedeutung als Gebäude, Straßenzug und werden sogar als ein Raum gesehen, ins Räumliche übersetzt. Das Auge sieht etwas eigentlich Flaches, die Punkte auf der Bildfläche und dies stößt etwas an, das als räumlich erstreckt wahrgenommen wird.
JPK: Was beim großen dreiteiligen Panorama fast gegen den Widerstand der Arbeit geschieht. Denn ich sehe in diesen Arbeiten das gleiche Formmaterial vierfach, leicht verschoben zueinander, - worauf der Titel der Ausstellung "sondern versetzt" auch anspielt - in Rot, Blaugrau, Weiß und einem gebrochenen Gelb auf grauem Grund. - Manche Zonen erscheinen plastisch, erkennbar oder identifizierbar.
BJ: An einigen Stellen entstehen plastisch wirkende Formgefüge mit einer Nähe zur Architektur, an anderen Stellen sind es dann Formenkomplexe, die sich solchen Zuweisungen entziehen, die sich der Deutung als etwas widersetzen.
JPK: Beim Sehen, beim bewußten Sehen kann ich mir sagen, diese widersetzlichen Details bringe ich später noch unter, werde sie noch integrieren in dieses Stadtbild oder ich blende sie aus, ignoriere sie als eine Art Webfehler zugunsten des stimmigen, schlüssigen Bildgewebes.
BJ: Man möchte das Bild gerne als widerspruchslos sehen.
JPK: Aus kurzer Distanz gesehen stellt sich die Frage noch einmal anders, denn bei Nahsicht werden die Abweichungen, Differenzen zwischen den vermeintlich identischen Farbformen um so sichtbarer. So zeigt sich z.B., dass an vielen Stellen das Rot fehlt.
BJ: Es ist keineswegs ein mechanisches Wiederholen.
JPK: So entsteht ein Schwanken zwischen Gleichem und Ähnlichem.
BJ: Das ist ein wichtiges Spannungsmoment. Man möchte etwas erkennen, wird aber durch einen Widerstand zugleich auch daran gehindert. Durch diese Hinderung wird das Wahrnehmen in Gang gesetzt, die Neugier wird gereizt, gekitzelt, und zugleich verliert das Sehen seine glatt funktionierende Alltäglichkeit.
JPK: Und dabei ist man bereit viel mehr zu sehen als wirklich da ist, das Auge füllt und überbrückt allerlei Leerstellen. Auf der anderen Seite sieht man wohl gar nicht alles tatsächlich Vorhandene, alle die kleinen Bildpunkte, die Überfülle der visuellen Informationen. Kurz, es gibt eine erhebliche Differenz zwischen Sehbarem und Sichtbarem im Bild.
BJ: Aber natürlich wissen wir auch, dass eine Stadt aus viel mehr besteht als ein paar farbigen Punkten. Es ist nur ein Bruchteil dessen, was man sich vorstellt oder weiß. Auch diese Differenz wirkt produktiv auf das Sehen und Denken über das Gesehene.
JPK: Das ist der springende Punkt, die Reibung zwischen Zuviel und Zuwenig.
BJ: Aber es geht mir auch um eine emotionale Komponente. Es gibt dort neben aller Reflexion über Wahrnehmung und Erkennen eine in jedem Bild andere, wesentlich von der Farbigkeit getragene Atmosphäre, eine Poesie, die viel schwerer in Worte zu fassen ist.
JPK: Es entsteht, meiner Meinung nach, eine Reibung zwischen dem, was du "das Poetische" genannt hast und einer besonders aus der Nahsicht stärker wirksamen "Mechanik des Bildes".
BJ: Wenn das so ist, dann ist das eine subjektive Mechanik. Jeder wird das Bild etwas anders sehen, schon weil so sehr viel offen gelassen ist.
JPK: Keine Frage, es ist eine subjektive Mechanik, jeder Betrachter setzt sich nach und nach sein je eigenes Bild zusammen: die nächtliche Stadt, die nicht nur ein Weiteraum, sondern auch ein vielfältig aufgeladener Stimmungsraum ist. Ein betörender Anblick und doch verdankt er sich den aus kurzer Distanz deutlicher werdenden Rasterpunkten, die an eine apparative Mechanik denken lassen.
BJ: Obwohl der einzelne Rasterpunkt in diesen drei Bildern aufgrund seiner geringen Größe kaum mehr sichtbar ist und durch das Drucken auf einer in Relation zur Kantenlänge des Bildpunktes groben Leinwand noch weiter verändert wird. Identisch sehen diese Rasterpunkte also keineswegs aus. In anderen Bildern, aus der LA-Serie etwa, sind die Rasterpunkte viel größer und klarer als geometrische Form zu erkennen.
JPK: Aus der Nähe wird das Bild abstrakter, die Formen differenzieren sich, jede hat ihre eigene individuelle Gestalt, entfernt sich ein Stück weit aus dem gegenständlichen Zusammenhang. Eine Funktion oder Bedeutung wie "Brücke" oder "Gebäude" kann ich diesen Formkomplexen kaum mehr zuordnen.
BJ: Das ist auch vollkommen unerheblich, wenn man nahe davor steht. Komischerweise taucht dann die Frage, was das da ist, überhaupt nicht mehr auf. Ich glaube, es geht bei dieser Nahsicht eher um Dynamik. Eine vielschichtige Dynamik, in der Aspekte wie der von der Bildfläche suggerierte Raum, das Hin- und Hergleiten des Blicks zwischen einzelnen Bildzonen, Formkomplexen und Zwischenräumen und nicht zuletzt die sorgfältig abgestimmten Beziehungen zwischen den Farben zusammenwirken.
JPK: Wie kommst du zu deinen Farben, hast du von Anfang an eine genaue Vorstellung?
BJ: Ich entwickle meine Farben empirisch. Es gibt auch ein inneres Bild, aber man kann es nicht mit allen Konsequenzen denken. Und daher unternehme ich visuelle Versuche, mache Tests und Farbproben. Dabei ist es kein Zufall, dass hier mit Rot, Gelb und Blau, die Farben auftauchen, die im Farbkreis die Eckpunkte bilden.
JPK: Jede der vier Farben ein Anlauf oder Versuch. - Aus der Ferne hat man einen homogenen Raum, der den Konstruktionsgesetzen der Perspektive gehorcht. Aus der Nähe gesehen verliert dieser Raum sich aber, das Bild zerfällt in unlesbare Einzelheiten. Sichtbar werden nun lauter Druckfarbpunkte, ihre Überlagerung, ihre Verbindung zu komplizierten Gebilden. Auch das gehört für mich zur Mechanik: Der Druckvorgang scheint noch durch alles andere hindurch.
BJ: Das ist ein Bildvorgang.
JPK: Das Bild verdankt sich einem Produktionsvorgang, dem Siebdruck, der eigentlich reproduktiven Zwecken dient.
BJ: Das führt zur Frage des Handwerks, das ist aber nicht die Aussage des Bildes. Der Siebdruck und was dem voraus liegt bleibt das Instrument. Das eigentlich Interessante ist die Wirkung des Bildes.
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