Brühler Kunstverein
Aktuell  Vorschau  Archiv  Exkursion  Jahresgaben  Publikationen  Historie  Mitgliedsantrag  Künstlerbewerbung  Partner & Sponsoren  Impressum 


 

Gravity´s Spaces - Renate Guenther

Ausstellung vom 22. Oktober bis 12. November 2005

 
 

Der Brühler Kunstverein zeigt unter dem Titel GRAVITY'S SPACES eine Videoinstallation und Fotografien der Künstlerin Renate Guenther.

"PLASMA, or the black hole" (das schwarze Loch) lautet der Titel einer Videoinstallation, die den Betrachter in einem verdunkelten Raum in die Spannung versetzt, zugleich innere und äußere Verhältnisse konträrer Bewegungen einzelner Elemente wahrzunehmen. Eine große Kugel im verdunkelten Raum ist zugleich Objekt und Projektionsfläche, welche sich wiederum im Raum ausbreitet und in Form eines riesigen Schattens erscheint.
In Renate Guenthers Arbeiten sind reale und virtuelle Elemente kaum mehr zu unterscheiden. Dieses erfährt der Betrachter, wenn er versucht, die einzelnen Elemente der Projektion und Bewegungen zu erkunden und zuzuordnen.

Ähnliche Erfahrungen macht man bei den Fotografien, die teilweise Material erkennen lassen, sich im Ergebnis aber als nur bedingt entschlüsselbar erweisen. Monochromatische großformatige, aber auch kleinere Arbeiten führen den Betrachter in äußere oder innere Zusammenhänge von Räumen, deren (Schwer)Kraft zwischen Materialität und Immaterialität zu suchen ist. Gravitationsfelder, Gravitationslinsen, Phänomene des Lichts und der Zeit sind einige Aspekte, aber zugleich auch Probleme ihrer Wahrnehmung durch die mediale Vermittlung.

Videoinstallation Renate Guenther; © Renate Guenther;
Videoinstallation Renate Guenther

        Der Kunstverein bietet zwei Jahresgaben
        von Renate Guenther an.
Die Ausstellung wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung folgender Firmen:

Sigma System Audio-Visuell GmbH Düsseldorf
www.sigma-duesseldorf.de

Logo Sigma


Radio Paffenholz, Brühl
 


Biografische Angaben:

Renate Guenther wurde 1947 in Peine/Hannover geboren. 1967 bis 1970 studierte sie an den Kölner Werkschulen, 1970 bis 1971 an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach/Main Freie Grafik, von 1973 bis 1975 an der Fachhochschule Köln im Fachbereich Kunst bei Prof. Arno Jansen Fotografie. An der Kölner FH machte sie 1975 den Fachhochschulabschluss.

Einzelausstellungen hatte sie u.a. 1983 in der Galerie 23, Düsseldorf (Stein - Zeit - Gebilde), 1996 in der Galerie des Wilhelm-Lehmbruck-Museums, Duisburg (Licht - Zeit - Raum) und 2002 im Echnaton Center of Art in Kairo, Ägypten (Bild - Klang - Raum). Außerdem viele Gruppenausstellungen im In- und Ausland.

Ihre Arbeit ist in öffentlichen Sammlungen vertreten: Rheinisches Landesmuseum Bonn, Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg, Ministerium NRW für Kultur und Sport, Düsseldorf, Landesanstalt für Rundfunk NRW Düsseldorf, u.a.

Renate Guenther lebt und arbeitet in Mettmann.

In den Räumen der Schwerkraft

Stellen Sie sich vor, Sie wären als Astronauten im Weltraum unterwegs und fielen in ein Schwarzes Loch. Sie würden in Stücke gerissen und in Teilchen zerstoben - durch die unterschiedlichen Gravitationskräfte, die auf Ihre Körperteile wirken. Wenn ich den Physiker Stephen Hawkings richtig verstanden habe - kommen sie aber wieder raus aus dem Loch. So ein Schwarzes Loch ist nämlich nicht vollständig schwarz, weil sich Teilchen nach dem Unbestimmtheitsprinzip über eine kurze Strecke rascher als das Licht fortbewegen können und damit entkommen können. Das ist eine bahnbrechende Erkenntnis, aber kein Trost. Denn selbst wenn das Schwarze Loch Teilchen emittieren würde, ließe sich nicht entscheiden, ob es wirklich Ihre Teilchen wären.

Teilchen haben keinen Personalausweis und damit komme ich schon auf einen Punkt, der Renate Guenther wichtig ist: die Unsicherheit. Stellen Sie sich vor, die Künstlerin schickt Sie auf so eine kaum vorstellbare Reise in die Räume der Schwerkraft - so hat sie ihre Ausstellung betitelt, "Gravity's Spaces" - ohne Personalausweis, ohne Sicherheiten und nur mit dem Treibstoff Imagination, Wind und Licht ausgestattet. Damit landen Sie erst mal auf dieser glühend roten Kugel, die sich scheinbar leise kreiselnd durch den Raum schwingt. Sie finden dort nichts Festes vor. Die ganze Kugel ist flüssiges rotes, computeranimiertes Plasma. Alles ist in Bewegung, und Sie können sich nirgends festhalten.

Hier herrscht das absolute Chaos. Aber zugleich auch das Gegenteil davon, da wir uns glücklicherweise in einem Bild befinden. Die Installation - sie heißt "PLASMA or the black hole" - funktioniert wie ein dialektisches Modell, "und darauf kommt es an", sagt Renate Guenther.

Auf der Hand liegt zum Beispiel die Endlichkeit dieser Projektion. Sie durchmisst einen Raum von bestimmten Maßen und endet hinten auf der Leinwand, die rechteckige Begrenzungen hat. Das Bild, mit dem wir es zu tun haben, hat zwei, es hat drei und vier Dimensionen. Und dann gibt es noch kleine Zeichen von großer Bedeutung, die steuerlos im Plasma schwimmen: ein Chromosom und ein Schlund und Spiralen, die aus dem Schlund heraustreten. Bezeichnenderweise sind es die einzigen Zeichen, die - auf einer symbolischen Ebene - den Menschen ins Spiel bringen, sein schöpferisches Potenzial und seinen Gestaltungswillen.

Am interessantesten ist in diesem Zusammenhang das Motiv des Rachens. Aus dem Rachen entsendet der Mensch wohl die allerersten Zeichen der Artikulation. Hier müsste man nun ein bisschen weiterdenken, rausfinden etwa, was es kulturhistorisch mit dem Rachen auf sich hat. Spontan dachte ich erst mal an eine Beuys-Aktion in Tokyo 1984, wo er passagenweise ö ö-Laute tief aus dem Inneren seines Körpers in das Mikrophon artikulierte. Aber das lass ich jetzt als Anregung im Raum stehen, weil es zu weit wegführt.

Ich bleibe bei den Perspektiven und kulturellen Bedingtheiten, unter denen der Mensch sich ein Bild von der Welt macht. Denn das ist im Prinzip das verbindende Thema aller raumbezogenen Arbeiten, die Renate Guenther seit 2001 realisiert hat. Es sind insgesamt sechs. Die wichtigste für unseren Kontext ist die Medieninstallation "Weltbild Transversal - Mercator meets Sloterdijk" (Spacewatch I), die gedanklich vorbereitet wird durch die schon 2000 geschaffenen gleichnamigen Fotoarbeiten, die jetzt hier als Jahresgabe angeboten werden. Da geht es um die Auseinandersetzung mit dem "Machbaren" bei Mercator und Sloterdijk, genauer um die Machbarkeit der Welt und die Machbarkeit des Menschen.

Gerhard Mercator, rheinabwärts in Duisburg geboren, der im 16. Jahrhundert die Welt vermaß und erstmals Landkarten, Globen und Atlanten schuf, sprach tatsächlich sehr bildhaft von der "Herstellung der Welt". Der Philosoph Peter Sloterdijk hat sich in seinem 1999 erschienenen Essay "Regeln für den Menschenpark" mit der technischen Herstellung menschlicher Eigenschaften befasst.

Das Phänomen der "Translokation" ist das Motiv, das Mercator und Sloterdijk verbindet : also ein Übersetzungsprozess, dem die Berechnung, die Vermessung unabdingbare Voraussetzung ist - nämlich einerseits die Übersetzung geographischer Berechnungen der Erdkugel in Karten, Pläne und Globen und andererseits der biologische Begriff der Translokation, der die Verlagerung eines Chromosomenbruchstücks in das Gefüge eines anderen bezeichnet andererseits.

Renate Guenther translociert mächtig mit, wie sich das für eine anständige Künstlerin gehört. Denn das bildnerische Denken hat immer mit dem Verständnis und dem Erschließen von Welt zu tun. Klar, dass sie kein physikalisches, mathematisches Modell herstellt. Sie erschließt Welt, sie übersetzt sie, und das Besondere an dieser künstlerischen "Translokation" ist, dass sie mit ästhetischen Mitteln eine Menge ungelöster Fragen und Implausiblitäten mitliefert.

Die Frage nach der Machbarkeit der Welt schließt die Frage nach der Machbarkeit des Menschen mit ein und endet mit der Frage, welche menschlichen Kategorien in einer Welt, in der sich die Grenzen zwischen Simulation und Realität auflösen, noch Maßstäbe setzen. Diese Frage lässt sich schwer oder vielleicht auch gar nicht beantworten. Aber sie muss gestellt werden. Immer wieder - zum Beispiel auch mit den Mitteln des Künstlers. Solange die Frage gestellt wird, setzt der Mensch noch Maßstäbe.

Renate Guenther hat für die Fragen, die aus ihrem Blick in den Raum, in den Makro- wie den Mikrokosmos resultieren, den anschaulichen Begriff "Spacewatch" gefunden. Dieser Begriff ist aber der rote Faden durch ein Werk, das inzwischen eine drei Jahrzehnte dauernde Geschichte aufweist.

Angefangen hat es mit einer durch das Fotografie-Studium bei Arno Jansen in Köln angeregten journalistischen Schwarzweißarbeit. Sie findet ihre Schwerpunkte in sozialkritischen Themen und im Porträt und hat mit den Arbeiten, die Sie hier vorfinden, noch gar nichts zu tun. 1975 ist diese Phase abgeschlossen. Ich greife ganz wenige von den sich anschließenden Stationen heraus: Die in Frankreich und auf den Kanarischen Inseln erarbeiteten Schwarzweißfotografien der ersten Hälfte der achtziger Jahre beschäftigen sich mit Räumen aus Licht und Schatten, Mauern und wenigen Formen. Mit dieser Serie beginnt das Licht zum Dreh- und Angelpunkt der künstlerischen Arbeit zu werden.

Was Renate Guenther am Thema Licht vor allem interessiert, sind aber nicht die Dinge, denen Licht eine bestimmte Qualität von Erscheinung gibt. Es ist vielmehr das Phänomen Licht als solches, seine Eigenschaften und Metamorphosen auf dem Weg durch die Kamera, durch den Raum auf den Bildträger, die sie fesseln. Das Licht als räumliches Phänomen ist wichtig oder auch die Auseinandersetzung mit den Umständen seines Nicht-Erscheinens und seines Erscheinens.

1990 befasst sich Renate Guenther mit dem nicht sichtbaren Weg von Laserlicht durch den Raum. Einige Ergebnisse dieser Auseinandersetzung hängen hier in dieser Ausstellung ("RED CIRCLE", 1990). "Wir sehen etwas, es kommt an, doch wir können es nicht wahrnehmen auf seinem superschnellen Weg durch den Raum", kommentiert die Künstlerin diese Fotoarbeiten. Laserlicht streut nicht. Es geht sehr weit. Man sieht es nur da, wo es sich bricht: im Staub, im Wassertropfen oder auf dem Bildträger. 1 Sekunde braucht der Laserstrahl bis zum Mond. Die Dimension ist interessant, die man nicht packt", sagt dazu die Künstlerin.

1995 entstehen die hier ausgestellten "Halos"-Bilder. Damit geht die Künstlerin noch einen Schritt weiter. Denn sie befasst sich mit etwas, das in der Form und an dem Ort, an dem man es wähnt, gar nicht existiert. Ausgangspunkt ist ein rätselhafter Begriff namens "Rotverschiebung" und das Phänomen der "Halos" im Weltall, auch genannt "Gravitationslinsen". Diese sog. "Gravitationslinsen" funktionieren wie eine Linse. Sie machen Licht sichtbar, das sich - durch die Anziehungskraft von Masse im All wie zum Beispiel Galaxien oder Schwarze Löcher - quasi um die Ecke befindet. Die "Rotverschiebung" ist ein Faktor, um die Entfernung dieses Lichtes zu messen. Denn je weiter es sich entfernt, umso roter ist es, weil mit der Ausdehnung des Universums die elektromagnetischen Wellen länger werden.

Ich gebe zu, dass ich diesen komplizierten naturwissenschaftlichen Hintergrund nicht richtig verstanden habe. Deshalb komme ich jetzt schnell zum Ende und zu einer Art übergreifenden Würdigung. Ich finde diesen Sprung, den die Künstlerin aus der klassischen, journalistischen Schwarzweißfotografie in die Bildräume Medienkunst gemacht hat, ganz erstaunlich. Wenn man es aber näher betrachtet, hat der Sprung seine Logik. Denn die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Licht - das ja, wie Einstein entdeckt hat, zugleich elektromagnetische Welle und ein Strom von Teilchen ist - ist folgerichtig eine Auseinandersetzung mit dem Raum.

Von Jean-Christophe Ammann, dem charismatischen ehemaligen Direktor des Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, stammt der Satz: "Künstler arbeiten an der Wiedergewinnung des Tiefenraumes." Er meint damit die Wiedergewinnung des emotionalen und gedanklichen Resonanzraums, der durch die flache Bildschirmwahrnehmung von Computer und Fernsehen zu verkümmern droht. An diesem, gerade in den letzten Jahren virulent gewordenen gesamtgesellschaftlichen Projekt arbeitet Renate Guenther mit.
Christiane Fricke, Wachtberg im Oktober 2005

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.renate-guenther.de

 
 

Impressionen der Ausstellungseröffnung

 ©Boll ©Boll
 Der Vorsitzende Wagner eröffnet die Ausstellung

 Frau Dr. Fricke erläutert die Arbeiten von Renate Guenther
 ©Boll ©Boll
 Renate Guenther (rechts) im Gespräch mit Gästen

 Blick von außen in die Schlosserei
 ©Boll ©Boll
  Die Medieninstallation "Plasma or the black hole"

 
 ©Boll
  Aufnahmen: Boll