Brühler Kunstverein
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"Lebenszeit" von Cornelia Rößler

Video-/Fotografieinstallation

Ausstellung vom 3. Oktober bis 24. Oktober 2009

  Zur Ausstellung

In ihrer Videoarbeit und den rund 20 Fotografien beschäftigt sich die gebürtige Münchnerin mit dem Thema des Alterns und Alter und seine Bedeutung in und für unsere Gesellschaft. Altern wird in unserer Gesellschaft hauptsächlich im Sinne von Defiziten interpretiert und nicht im Sinne der Entwicklung von seelischen und geistigen Ressourcen. Sie beleuchtet einerseits Lebensräume von Senioren im Altenheim, andererseits leere verlassene Räume - einst von Menschen bewohnt. Menschen, die in ähnlichen Räumen gelebt haben, sind in Fotografien dokumentiert, ihre Physis, ihr Gesichtsausdruck, ihre alternde Haut - kurz: ein Teil ihrer Lebensgeschichte. Ein eindringliches Bild von Leben und Vergänglichkeit. Wie ein Sog reflektiert es das eigene Leben, die eigene Lebenserwartung.
Cornelia Rößlers Arbeit ist eine sehr sensible, die weder mahnt noch kritisiert, jedoch sensibilisiert für ein Thema, das im Zuge der demografischen Entwicklung bedeutend ist.


L E B E N S Z E I T - Eine Betrachtung von Sabine Müller

"Lebenszeit" ist eine Ausstellung, die sehr stark mit dem Ort arbeitet, an dem sie stattfindet. Die einzelnen Werkgruppen besetzen diesen Ort auf jeweils unterschiedliche Weise. Da gibt es "konventionell" gehängte, große Fotoportaits, die allerdings nicht gerahmt sind, sondern auf Dibond aufgezogen und rahmenlos auf der Wand zu schweben scheinen. Bei einer zweiten Gruppe von Fotografien handelt es sich um viele kleine Formate, die locker zu einer Gruppe zusammengestellt werden. Dann sehen wir einen Foto-Leuchtkasten an einem der Wandstreifen auf der Fensterseite. Besonders auffällig und mächtig wirkt die an die Wand gelehnte große, zweiteilige Fotoarbeit, die kleinere Ausschnitte zu einem mauerartigen Gesamtbild vereint. Sehr ungewöhnlich ist die Videoprojektion in den schmalen Flur hinein, der eigentlich nicht mehr zum Ausstellungsraum gehört, und schließlich geht Cornelia Rößler sogar ganz aus dem Ausstellungsbereich heraus und installiert eine weitere Videoarbeit im Büro, also in einem Raum, der normalerweise für Besucher nicht zugänglich ist.

Nichtsdestotrotz, 2008
Welche Konsequenzen hat das? Gerade wenn Sie schon häufiger hier waren und mit dem Ausstellungsraum vertraut sind, werden Sie diese andere Aneignung des Raumes am deutlichsten empfinden. Ihre Wahrnehmung wird auf die Probe gestellt, Ihre Sicht auf die Dinge bei jedem einzelnen Werk wie bei einem Fernglas neu eingestellt. Bei der Arbeit "nichtsdestotrotz" wurde eine Art Mauerverbund aus Fotografie-Ausschnitten auf Bretter aufkaschiert, die so in den Raum gestellt einen geradezu wehrhaften Eindruck erwecken. In der Farbigkeit erinnern die Ausschnitte tatsächlich an Backsteine, so dass erst beim Näherkommen erkennbar wird, dass es sich nicht um Abbildungen oder Nachahmungen von Backsteinen handelt, sondern um Nahaufnahmen menschlicher Haut. Diese Gleichstellung von Haut und Stein ist reizvoll, gerade weil sie der primären Vorstellung von der völligen Unvereinbarkeit dieser beiden Dinge widerspricht. Tatsächlich ist ja beides ein Schutz, die Haut wie die Mauer, beides trennt innen und außen. Und hat nicht auch eine von der Sonne beschienene Backsteinmauer einen starken sinnlichen Reiz, möchte man nicht gerne danach greifen und ihre warme Oberfläche spüren? Die "Haut-Wand" zeugt von der vielfältigen Gestalt der Haut, indem sie von den Personen und Körperteilen abstrahiert und die gesamte Konzentration auf Oberflächenbeschaffenheit, Farbe, Glanz, Struktur und dergleichen formale Dinge legt. So betrachtet ist die Haut vor allem eines: überaus vielgestaltig und sehr ästhetisch. Das betrifft gerade auch die in regelmäßige Falten gelegte, glänzende Oberfläche gealterter Haut. Lebenszeit lässt sich hier direkt ablesen, denn viele Generationen sind vertreten. Man denkt beim Betrachten unweigerlich an einen sozialen Verbund, eine Gruppe von Menschen, die miteinander in einem engen Bezug stehen. Aber obwohl wir täglich in viele Gesichter schauen und auch die Hautpartien des Körpers bei der heute herrschenden Freizügigkeit zu großen Teilen den Blicken offen ausgesetzt sind, sehen wir das, was uns am nächsten ist, unsere eigene Haut, in dieser extremen Nahsicht neu. Wir entdecken sehr spannende Strukturen, z.B. die der Finger oder auch der Handinnenseite, wir verfolgen die Metamorphosen der Haut an den Übergängen zu den Lippen, den Nägeln, ihre Verwandlung in ein Feld mit borstigen Haar-Implantaten, deren akkurat-regelmäßige Anordnung verblüfft.

Indem Cornelia Rößler die Haut dergestalt mit der Wand in eine Ebene stellt, wertet sie sowohl deren schützenden Eigenschaften, ihre tatsächliche Widerstandsfähigkeit und lebenslange Haltbarkeit auf, als auch ihre sensorischen Qualitäten. Die Haut ist das größte unserer Sinnesorgane.

Wohnen, 2008
Von hier aus stellt sich ganz von selbst eine Verbindung her zu den Fotografien von verlassenen Häusern. Auch hier gibt es Mauern, die Räume voneinander trennen, und ebenso viele Verbindungselemente zwischen den Räumen, gemeint sind Fenster und Türen. Einmal taucht ein Spiegel auf - eine ganz besondere Form der "Maueröffnung" - durch den Spiegel wird zwar die Wand scheinbar geöffnet, aber der Weg wird nicht frei, sondern geradezu blockiert, statt Vorwärtsschreiten tritt eine Rückbesinnung in Kraft durch die Reflektion dessen, was hinter einem liegt. Und tatsächlich scheint hier sehr viel zurückzuliegen. Es handelt sich zwar um verlassene, aber nicht um tote Räume. Sie wirken sehr atmosphärisch, lebendig, die warmen Farben mit ihrer Patina, das Altmodische, anrührende Details tragen dazu bei, dass das gelebte Leben, das hier einmal stattfand, sehr präsent bleibt. Die Räume wirken wie ein Vermächtnis; sie sagen etwas über die abwesenden ehemaligen Bewohner aus. Einmal sieht man auch ein Kind aus dem Raum laufen, so dass sich auch hier wieder eine Verbindung zwischen den Generationen herstellen lässt. In diesen Hinterlassenschaften leben die Menschen in ihren Nachkommen fort. Wie schon erwähnt, gibt es hier auffällig viele Fenster, und auch wo kein Fenster zu sehen ist, gibt es sehr viel Licht, das aus einer unischtbaren Lichtquelle heraus die Räume erhellt. Das Licht trägt sehr stark zu dem insgesamt positiven, lebensbejahenden Eindruck bei. Das Licht ist in der Kunst traditionell das Element, das alles zum Leben erweckt. Es steht für Energie, das Geistige oder Göttliche und sorgt im Kontrast mit dem Schatten für Dramatik und Lebendigkeit. Im Lichtkasten, der hier in der Fensterreihe wie ein zusätzliches Fenster nach draußen eingebaut ist, wird diese Lichtmystik in eine moderne Form überführt.

Freizeit, 2009
Wenn Sie von hier aus den Blick weiterschweifen lassen, werden Sie selbstverständlich die großen Portraits wahrnehmen - es ist aber gut möglich, dass Sie daran gar nicht weiter "hängen bleiben", sondern von den bewegten Bildern und den Geräuschen der Videoinstallation im hinteren Durchgang angezogen werden. "Frei Zeit" nennt Cornelia Rößler diese Arbeit - schnell wird klar, dass eine Feier mit alten Leuten Gegenstand des Videos ist, vielleicht wurde es in einem Altersheim oder einem Gemeindehaus aufgenommen. Die wackligen Bilder erinnern an ein Amateurvideo. Aber wer nimmt so etwas auf? Ist das interessant? Es ist selbstverständlich geworden, dass in den Familien jeder noch so kleine Anlass, jede Mini-Aufführung aufgenommen wird, aber wer interessiert sich für den Ablauf eines Altennachmittags? Wer legt Wert auf solche Erinnerungen? Womöglich schleicht sich beim Betrachten eine größere Betroffenheit ein, als man es eigentlich erwartet hätte. Hat diese schwankende Kamerafahrt nicht Ähnlichkeit mit dem unsicheren Gang alter Leute, ist das eingeschränkte Bildfeld im engen Flur vielleicht ähnlich der Perspektive von Menschen, die mit Alzheimer oder Demenz geplagt sind oder nicht mehr gut zu Fuß, nicht mehr gut sehen, nicht mehr gut hören und sich auch sonst nicht mehr wirklich zurechtfinden? Die Installation lädt dazu ein, in sie hineinzugehen, sich auch körperlich darunter zu mischen. Vielleicht teilen wir für einen Moment die Perspektive der Menschen, von denen dieses Video handelt.

Man muss das Leben eben nehmen wie das Leben eben ist, 2009
Vielleicht ziehen wir es aber auch vor, uns der zweiten Videoarbeit zu widmen, diesmal angenehm auf Distanz via Bildschirm. Dass das Gerät im Büro aufgestellt wurde, mag praktischen Vorgaben entsprechen, aber durch diese Sonderstellung im Séparée wird auch die Intimität eines solchen Interviews in gewisser Weise nachgestellt. Diesmal ist die Kameraeinstellung ganz statisch, es findet keinerlei Dramaturgie statt, es wird nur erzählt. Die Dramatik kommt aus den Geschichten, die Emotionalität der Erzählungen und der Abfolge, d.h. die Art, wie die Interviews zusammengeschnitten und in einen Zusammenhang gebracht werden. Obwohl diese Lebensgeschichten sehr detailliert erzählt werden, bleibt auch vieles offen. Die kommentarlose und fragmentierte Wiedergabe arbeitet gegen die unterschwellige Befürchtung, völlig fremden Menschen in voyeuristischer Nahsicht zu nahe zu treten. Wir teilen eben nicht das Vertrauen, das der Interviewerin entgegengebracht wird, sondern bleiben Außenstehende. Jedoch ist auch die Künstlerin, die die Gespräche führt, nicht zu sehen und nicht zu hören. Die alten Leute sind die einzigen Akteure und stehen ganz im Mittelpunkt. Fast hat man den Eindruck, dass Fragen von außen auch nicht nötig sind - die alten Menschen scheinen mit den Ereignissen aus den weit zurückliegenden Lebensabschnitten, Jugend, Heirat, die Geburt der Kinder, Krankheiten und Verluste, aber vor allem auch den Ereignissen im Krieg und in der Nachkriegszeit in engerer Verbindung zu stehen, als mit der Gegenwart. Der Gesamteindruck, den wir als Betrachter von den Personen gewinnen, setzt sich aus vielen Faktoren zusammen. Wenn wir aus dieser Erfahrung heraus jetzt die nach innen gekehrten Portraitfotos im Ausstellungsraum betrachten, erkennen wir die Protagonisten aus dem Video wieder. Erkennen wir sie aber wirklich wieder, entsprechen diese Fotos dem Bild, das wir uns von ihnen machten? Oder kommen nicht doch wieder ganz neue Aspekte zum Vorschein? Welches "Bild" kommt ihnen näher, das im Film, das sie beim Erzählen zeigt, oder doch das Foto? Wie stellen wir uns die Frau vor, von der wir nur das Portrait haben und keine Filmaufnahme? Wie würde sie sich beim Erzählen verändern?

Wenn sich Cornelia Rößler mit dem Thema Alter auseinandersetzt, dann nicht ohne grundlegende Fragen der Wirklichkeitsaneignung sehr ernst zu nehmen: Wie nimmt ein Mensch sein Schicksal selbst war, wie wird es von außen wahrgenommen? Cornelia Rößler versucht sich an verschiedenen Perspektiven und stellt sie einander gegenüber. Lässt sich die schlichte Unterscheidung von objektiv und subjektiv aufrechterhalten, wie wird man dem subjektiven Anteil, der bei jeder Einschätzung eine Rolle spielt, gerecht? Auch auf der fomalen Ebene sind die Unterscheidungen fließend, wann kann man noch von einer Dokumentation sprechen, wann gewinnt die künstlerische Bearbeitung die Oberhand? In jeder Annäherung, sowohl der des Betroffenen selbst, als auch der des vermittelnden Mediums, spielt die subjektive Perspektive eine entscheidende Rolle. Durch die Vermeidung einer auktorialen, also allwissenden Erzählerhaltung, gelingt es Cornelia Rößler, dieses Thema mit großer Authentizität und Glaubwürdigkeit umzusetzen, so dass die Neugierde des Betrachters meist doch gegenüber einer vielleicht vorhandenen inneren Abwehrhaltung die Oberhand gewinnt und die Arbeit ihn in ihren Bann zieht. Während in der Kunstgeschichte das Thema Tod eine zentrale Stelle einnimmt, vielleicht sogar als eines der großen Hauptantriebskräfte der Kunst genannt werden könnte, kommt das Thema Alter nur sehr selten, eher am Rande vor. Es ist ein schwieriges Thema. Aber es kann, wie in diesem Fall, sehr spannend sein.

© Sabine Müller, 2009

Lebenszeit von Cornelia Rößler;©BKV



Lebenszeit von Cornelia Rößler;©BKV

"Lebenszeit" von Cornelia Rößler


Bilder von der Eröffnung

Sabine Müller, Doris Krampf und Cornelia Rößler (von links); ©Wagner/BKV
Sabine Müller, Doris Krampf und Cornelia Rößler (von links)


Andreas Brandt und Hanns-Henning Hosmann (von rechts); ©Wagner/BKV
Andreas Brandt, Beigeordneter Stadt Brühl,
und Hanns-Henning Hosmann, Vorsitzender Ausschuss
für Kultur-, Partnerschaften- und Tourismus, (von rechts)



Besucherin betrachtet die Arbeit nichtsdestotrotz; ©Wagner/BKV
Besucherin vor der Arbeit "nichtsdestotrotz"


Cornelia Rößler zwischen ihren Portraits; ©Wagner/BKV
Cornelia Rößler zwischen ihren Portraits


nichtsdestotrotz - Nahaufnahmen menschlicher Haut; ©Wagner/BKV
nichtsdestotrotz - Nahaufnahmen menschlicher Haut


Videoinstallation im Durchgang; ©Wagner/BKV
Frei Zeit - Videoinstallation im Durchgang


Aufnahmen: G.Wagner ©BKV