Brühler Kunstverein
Aktuell  Vorschau  Archiv  Exkursion  Jahresgaben  Publikationen  Verein  Mitgliedsantrag  Künstlerbewerbung  Partner & Sponsoren  Impressum 


 

Timo Klos - Vom Moment und zurück

Ausstellung vom 20. Juni bis 10. Juli 2021

Das Thema Vergänglichkeit steht bei den Arbeiten des Künstlers Timo Klos im Vordergrund. Er setzt sich mit dem Moment und seiner Bedeutung in der Wirklichkeit und in Fotografien auseinander. In seiner Arbeit macht er dies oftmals als Prozesse sichtbar. Mal sind es, wie bei der Serie "Orr", Langzeitbelichtungen der letzten Zweisamkeit einer Liebesbeziehung, die in Licht und Unschärfe verschwimmt; ein anderes Mal ist im Video "Just in time" ein Paar nach der Aufnahme mittels Selbstauslöser plötzlich gänzlich verschwunden. Für einen Augenblick meint man als Betrachter jede Sekunde und ihr Zeitgeschehen als Unikat wahrzunehmen und plötzlich suggieren die Fotos der Arbeit "Welcome back", dass scheinbar doch Gegebenheiten existieren, die wiederkehrend sind. Vergangenes wird gegenwärtig et vice versa.

Timo Klos arbeitet an der Schnittstelle zwischen Fotografie und bewegten Bildern und präsentiert seine Arbeiten auch raumbezogen, objekthaft oder installativ. Er studierte Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Fotografie bei Prof. Martin Liebscher an der HFG Offenbach, gastierte für ein Jahr an der Finnish Acadmy of Fine Arts in Helsinki und ist seit 2015, neben der eigenen künstlerischen Tätigkeit, am Seminar für Kunst & Kunstwissenschaft an der TU Dortmund als Dozent für Fotografie und Multimedia tätig.

Timo Klos aus der Arbeit Welcome back!, 2020

Timo Klos aus der Arbeit "Welcome back!", 2020

Zum Künstler

Timo Klos, geboren 1983 in Bad Hersfeld, studierte Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main. Er lebt und arbeitet in Dortmund.

Ausstellungen der letzten 3 Jahre

2021
  Brühler Kunstverein (Solo)
  Die Grosse, Museum Kunstpalast & NRW Forum, Düsseldorf
  Laufende Beobachtungen, Hochschuletage Campus Stadt, Dortmunder U
  Kunstverein Wesseling (mit Kathrin Edwards)

2020
  Die Grosse, Museum Kunstpalast, Düsseldorf (verschoben auf 2021)

2019
  Vom Moment bis zur Ewigkeit, Gießhaus Universität Kassel ( Solo)

2018
  DEW21 Kunstpreis 2018, Dortmunder U (nominiert)
  THE LONG NOW:
   - Kunstverein Bochum
   - Museum Goch
   -me Collectors Room Berlin / Stiftung Olbricht
  Timo Klos, Kunstverein Aurich (Solo)
  Die Grosse, Kunstpalast Düsseldorf

Weitere Informationen zu seinem Werk unter www.timoklos.de

 

Timo Klos – Vom Moment und zurück

Von Laura Di Betta

Von dem französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson stammt der Satz: "Vor allem sehnte ich mich danach, in den Grenzen einer einzigen Fotografie das Wesen eines Vorgangs einzufangen, der sich vor meinen Augen abspielte."1
Die Fotografie als Möglichkeit, den Moment einzufangen, festzuhalten, reproduzierbar zu machen – eine Haltung, die sich seit ihrer Erfindung in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts durchzuziehen scheint. Schließlich stand lange Zeit lediglich ihre dokumentarische Funktion im Vordergrund mit dem Anspruch, ein objektives Abbild der Realität zu schaffen und zu transportieren. Wenn Cartier-Bresson also "das Wesen eines Vorgangs" einfangen möchte, dann geht es um mehr, als das, was die Augen zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Tag sehen. Es geht um Stimmung, um Atmosphäre, um Gefühl. Manch einer mag sagen: um die Magie, die in der Vergänglichkeit liegt.

Zeit und ihre Vergänglichkeit, Momente und Prozesse sind es, die Timo Klos (*1983) in seinen Arbeiten aushandelt. Aber hier dient die Fotografie nicht primär als Zeuge und Zeugnis. Rund 100 Jahre nach Cartier-Bresson haben wir die Diskussion um die von Robert de la Sizeranne am Ende des 19. Jahrhunderts gestellte Frage "Ist Fotografie Kunst"2 längst hinter uns gebracht. Der künstlerische Wert und auch Anspruch von Fotografie steht nicht mehr zur Diskussion. Dennoch sträuben sich die Arbeiten von Timo Klos gegen eine kategoriale Zuordnung. Oftmals scheinen sie dokumentarisch festhaltend, nur um beim nächsten oder übernächsten Blick, Irritation zu provozieren. Ausgelöst wird diese Irritation auch dadurch, dass sich Timo Klos nicht auf die Fotografie als einziges Medium beschränkt. Er wählt in seinen Arbeiten stets einen multimedialen Ansatz, der zum einen die Grenzen der Fotokamera auslotet und ausweitet, zum anderen aber auch die Werke nicht selten von der Wand in den Raum bringt, und ihnen damit installativen Charakter verleiht und neue Zugänge und Verknüpfungen ermöglicht.

Wir haben heute die Gelegenheit, zwei Pole seines Schaffens zu sehen: Zum einen mit der Serie "ORR" eine sehr frühe Serie, die Timo Klos bereits 2009 realisierte, zum anderen mit "Welcome Back" eine Arbeit aus diesem Jahr, die er hier im Brühler Kunstverein erstmals zeigt.
Bereits in "ORR" kommt der gerade genannte Aushandlungsprozess von Zeit und ihrer Vergänglichkeit, von Momenten und Prozessen zum Tragen. Es stellt sich die Frage: Wenn Momente einmalig sind, was passiert dann, wenn der eingefangene mutmaßliche Moment einen Zeitabschnitt von mehreren Minuten oder gar Stunden umfasst? Elf Fotografien, elf Momente, die einen intimen Einblick in eine Paarbeziehung liefern – oder zumindest im ersten Draufschauen diesen Eindruck vermitteln. Es scheinen Momentaufnahmen einzelner Situationen dieser beiden für uns nicht klar erkennbaren Personen. Wir sehen sie im Café, schlafend im Bett, unter der Dusche, beim Sex. Und doch erkennen wir sie nicht. Sie bleiben verschwommen, unscharf, schemenhaft angedeutet.
Die nähere Draufsicht verrät: Es ist nicht ein einzelner Moment, der hier festgehalten wurde, sondern es sind mehrere. Sie alle existieren gleichzeitig, liegen übereinander, schaffen so eine komplexe Situation, der man Anfang und Ende nicht anerkennen kann. Dieser Effekt kommt mittels Langzeitbelichtung zustande. Jede Situation wird so lange belichtet wie sie dauert: neun Stunden schlafen, 20 Minuten Sex, 15 Minuten unter der Dusche. Hier zeigt sich auch, dass die Arbeit mit der Fotokamera weitergedacht wird. Sie kommt wie eine Videokamera zum Einsatz, die jeweilige Situation wird "gefilmt" und dann auf ein einziges Still gebannt und reduziert.

Timo Klos bricht damit das ewige Versprechen der Fotografie, die Zeit festzuhalten und flüchtige Momente für später aufbewahren zu können. Das was ist, das was war, das Heute und das Gestern werden zusammengefasst und miteinander verwoben. Es ist das, was Roland Barthes unter dem Begriff des "Ca-a-eté", in der deutschen Übersetzung etwas sperrig gefasst als "Es ist so gewesen": "Was ich sehe ist keine Erinnerung, keine Phantasie, keine Wiederherstellung, (…) sondern das Wirkliche im vergangenen Zustand: das Vergangene und das Wirkliche zugleich."3

Die Frage nach dem Moment verbunden mit der Verknüpfung von Film und Foto zeigt auch "Just in Time", eine Arbeit aus 2014. Wir sehen ein Paar, offensichtlich im Urlaub, sich selbst fotografierend vor diversen Sehenswürdigkeiten und in Reisesituationen. Präsentiert wird der Film – wie es sich für Urlaubsbilder gehört – mittels Dialeinwand und Beamer. Der Film fängt die Situation des Kameraausrichtens ein und des Sich-Positionierens. Als Betrachtende sehen wir die Szene durch den Sucher. Es folgt das typische Klacken des Auslösers, und dann: Irritation.
Dort wo das Paar festgehalten sein soll, fehlt plötzlich jegliche Spur von ihm. Wo sind die beiden hin? Stellt sich bei "ORR" die Frage, was ein Moment ist, konfrontiert "Just in Time" die Betrachtenden mit der Frage, was mit Momenten geschieht. Wohin gehen sie, wenn sie vorbeigehen? Schlussendlich liegt auch eine gewisse Komik in dieser Arbeit. Dienen doch Fotografien wie diese, aufgenommen im Urlaub, auch immer der Selbstvergewisserung, ein Stück weit als Zeugnis, gemeinsam vor Ort und glücklich gewesen zu sein. Gibt es ohne die beiden Personen im Bild einen Beweis, dass sie jemals dagewesen sind? Timo Klos lässt uns im Unklaren darüber, und wir bleiben zurück mit der Frage: Wohin ist das Paar verschwunden?

Wo "ORR" und "Just in Time" die Momentaufzeichnung der Fotografie in Frage stellen, hinterfragt die Serie "Welcome Back" seine Einzigartigkeit. Es ist das erste Mal, dass diese Arbeiten heute hier ausgestellt werden. Wir sehen Äpfel, die auf einem Bett aus altem Laub und Ästchen liegen, wie zusammengetragen, um sie zu entsorgen. Einige sind noch ganz grün, andere rotbäckig, gelb, orange. Manche mit Druckstellen, andere wurmstichig. Es scheint das klassische Stillleben zu sein, das uns die Vergänglichkeit des Seins vor Augen führt. Dahinter: Wieder Äpfel auf dem Boden liegend. Aber dieses Mal in schwarz-weiß, wie ausgeblichen. Auch diese Äpfel haben Druckstellen und Wurmlöcher, aber ob sie rotbäckig sind, überreif oder noch jung und grün, lässt sich nicht ausmachen. Gefasst ist diese Fotografie in ein mit Schmuckranken an den Ecken verziertes Passepartout in einem alten Holzrahmen.
Unklar bleibt, was aktuell ist, was alt? Es ist ein Spiel mit Erwartungen, mit Rezeptionserfahrungen und dem Bruch mit diesen. Die Aufstellung als Vorder- und Rückseite verhindert einen direkten Vergleich. Und so lässt uns Timo Klos im Dunklen darüber, welches Apfelstillleben den Ursprung darstellt, was das vermeintliche Original ist. Oder ob diese Fragen überhaupt die richtigen sind.

1.) Henri Cartier-Bresson zitiert in Susan Sontag, "Über Fotografie", Frankfurt a.M., 1980
2.) Robert de la Sizeranne, Ist die Fotografie eine Kunst? (orig. 1897), in: Kemp, Wolfgang (Hrsg.), Theorie der Fotografie. 1839-1912. Bd. 1. München 1980, S. 212-219
3.) Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie Frankfurt a.M., 1985, S. 95, S. 93

Laura Di Betta, Juni 2021

Bilder von der Eröffnung


Die Vorsitzende des Kunstvereins, Gaby Zimmermann eröffnete die Ausstellung und begrüßte Timo Klos.




Die Kunsthistorikerin Laura Di Betta (links) führte in die Ausstellung ein.


Die Vorsitzenden des BKV C.Meck-Theben und G.Zimmermann mit dem Künstler Timo Klos


Viele Besucher wohnten der Eröffnung am Sonntagvormittag im frühsommerlichen Park des Marienhospitals bei.


Blick in die Ausstellung

BKV Timo Klos


BKV Timo Klos


BKV Timo Klos


Fotos: D. Schöddert