Brühler Kunstverein
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Doppel-Blatt - Claudia Desgranges und Klaus Schmitt

Ausstellung vom 8. März bis 30. März 2019

Die Künstler zeigen in der Alten Schlosserei jeweils eine Arbeit, die auf die des anderen Bezug nimmt. Klaus Schmitt verdeckt die gesamte Fensterfront durch ein Lattengerüst, das mit weißen Papierbögen so bespannt ist, dass ein weiß gefiltertes Licht in den Raum strömt und die gegenüberliegende Malerei-Wand-Installation von Claudia Desgranges in ihrer Intensität noch steigert. Claudia Desgranges möchte eine Wandarbeit erstellen, die aus ca. 100 bemalten Einzelblättern besteht. So verbindet sich die Malerei direkt mit der Wand und der Architektur des Kunstvereins und antwortet mit dem Medium - farbigen - Papier auf die Fenster-Papier-Installation von Klaus Schmitt.



Zu den Künstlern

Claudia Desgranges lebt und arbeitet in Köln und München. Ausstellungen im In- und Ausland seit 1988
www.claudia-desgranges.de

Klaus Schmitt lebt in Mönchengladbach und stellt seit 1982 im In- und Ausland aus.
www.klausschmittart.de


Auszug aus der Rede vom 8. März 2019, zur Eröffnung

"Doppel-Blatt", Claudia Desgranges & Klaus Schmitt


[...] Das malerische Œuevre der Künstlerin Claudia Desgranges ist bekannt: Ob im Landesmuseum Bonn, dem Museum Ostwall in Dortmund, im Fachmagazin Kunstforum International oder in Kunst am Bau-Projekten, mehrfach trifft man auf Arbeiten der Künstlerin. Klaus Schmitt studierte bei Joachim Bandau und war in Düsseldorf Meisterschüler bei Günther Uecker, stellte in Amerika, Italien, den Niederlanden und vielfach in Deutschland aus. Mönchengladbach ist er insbesondere verhaftet: Zwei Machende, die wissen, was sie tun - von New York bis Brühl.
Betritt man den Kunstverein, trifft man aber mitnichten auf "the same procedure as every year" zweier starker Einzelpositionen. Unwillkürlich tritt man in einen Echoraum ein. In ihm stehen zwei selbstbewusste künstlerische Positionen miteinander in Verhandlung - voller Respekt und voller Interesse für den Ort und ihre Gegenüber. Wenn folgend versucht wird, diesen Echoraum konkreter zu fassen, soll dies im Raster vier fiktiver Vorwürfe geschehen: Vom Raum über den Malerei- und Skulpturenbegriff bis hin zum vermeintlichen Fehlen politischer Dimensionen in der Ausstellung "Doppel-Blatt".

1. Vorwurf: Ein bisschen leer, oder?
Warum begeisterte Zustimmung für die Ausstellung? Der Raum ist doch leer, ließe sich mäkelnd ansetzen. Nun, es hängen knapp 100 Malereien von Claudia Desgranges in dieser Ausstellung und Klaus Schmitt hat eine Arbeit über die gesamte Länge und Höhe der Fensterfront angefertigt. Wenig ist das nicht. Doch haben sich Desgranges und Schmitt so in den Raum eingeräumt, dass sie ihn nicht besetzten, nicht in Beschlag nehmen, sondern dem Raum Raum lassen, ja geben. Selbst die Arbeit von Klaus Schmitt, die durchaus etwas Besetzendes und in Beschlag nehmendes haben könnte, tritt nicht in Konkurrenz zu ihm. Sie hat etwas Freies und Leichtes, kommuniziert, wie beispielsweise in der Eingangs-oder Fenstersituation, mit dem Raum und ist - im wahrsten Sinne - nur "angelehnt". Eine Geste des Vertrauens, des Miteinander, nicht des Gegen. Auch Claudia Desgranges blendet in Ihrer Hängung die Wand nicht aus. Sie lässt selbige mitsprechen, regiert auf sie und bindet sie ein. Insbesondere an dem schmalen Raumvorsprung, an den sie kantenscharf anbindet, wird die architektonische Dialogizität der Hängung spürbar.

Thematisiert der Ausstellungstitel im Wörtchen "Doppel" die Zwei, müsste im Grunde ein dritter Mitspieler hinzugefügt werden: der Raum. Dies gilt natürlich für jede Ausstellung, doch gelingt es nicht jeder Ausstellung, den Raum so sensibel zum Mitsprechen einzuladen. Dessen eigene Stimme nicht mit den ausgestellten Werken zu überschreien, sondern großzügig und gelassen zu sein - selbst wenn sich Feuerlöscher oder Steckdosen in den Weg stellen. Und noch etwas ist in diesem Doppel bzw. Tripel bemerkenswert: Obgleich sich hier zwei selbstbewusste künstlerische Positionen in einem nicht leicht zu bespielenden Raum mit einer Fülle begegnen, spürt man als Besucher keinen Kampf, kein Durchsetzungsgehabe oder gar Ellenbogen-Gestus. Und das, obgleich Desgranges und Schmitt sich für eine buchstäbliche Gegenüberstellung entschieden haben. Mag die Aufteilung des Raumes an zwei Duellanten aus einem Western erinnern, hier, im Zwischen-Raum der Werke ist davon nichts zu spüren. Mit der Großzügigkeit, mit der dem Raum begegnet wurde, begegnen sich auch die Werke von Desgranges und Schmitt.

2. Vorwurf: Soll das jetzt Malerei sein?
Bei den Werken von Claudia Desgranges würde man da wohl kaum widersprechen: Acrylfarben, die mit einem breiten Pinsel horizontal aufgetragen sind. Ein variierender Rhythmus, der auf einem einzelnen Blatt unterschiedliche Farbklänge sichtbar macht und der sich zwischen den Blättern über die horizontale Ausrichtung der Wand hin erstreckt - harmonisch dissonant, mal kräftig-laut, mal poetisch-still. Eine Fülle, die horizontal, vertikal, diagonal, in Schlaufen oder Sprüngen von den Augen erfahren werden kann. "Das Auge hört" heißt eine frühe Edition des Künstlers Günther Förg, dieser Titel kann einem in den Sinn kommen, wenn man sich langsam in diese malerische Fülle einsieht und -hört. Und es soll an dieser Stelle gar nicht damit begonnen werden, von kunsthistorischen Bezügen oder der Geschichte der Abstraktion und modernistischen Malerei des 20. Jahrhunderts zu referieren. Vielmehr erscheint es bemerkenswert, dass eine Malerin all dies weiß, die Malereigeschichte offensichtlich genau kennt und trotzdem weiter mit dem Medium arbeitet. Zwischen Anlehnung an und in Differenz zu formulieren sich die einzelnen hier gezeigten Blätter - in Bezug zueinander und zur Tradition. In diesem Aufgreifen des Vergangenen und Einbringen von Differenzqualitäten formt sich die malerische Stimme Degrangres'; eine Stimme, die um die Vergangenheit weiß und nach vorne blickt.

Soll das jetzt Malerei sein oder was? Bei Klaus Schmitts Raum-"Anlehnung" scheint die Frage schwerer zu beantworten. Leicht ließe sich mit dem Begriff der Installation operieren und jede Diskussion umgehen, doch lassen Sie uns bei den malerischen Aspekten bleiben. Zunächst ist Schmitts Werk ein Großformat, welches an das malerische Trägermedium "Leinwand" erinnert: Ein Gerüst aus Holzleisten, über das in diesem Fall kein Stoff, sondern Papierbahnen gespannt wurden. Und auch die genutzten Tacker kennt man vom Aufspannen einer Leinwand. Doch was wollen die (zu) vielen Holzleisten? Bilden sie bei einem Keilrahmen die dienender Träger und sind funktional eingepasst, sehen wir hier einige Latten, die sich von jeder Funktion freigemacht haben: Sie tragen nichts, sie halten nichts, sie sind da und stehen autonom für sich. Klaus Schmitt sprach selbst von einer Raum-Zeichnung, die er hier mit den Leisten eingezogen habe, eine "konstruktivistische" Zeichnung, welche explizit auf die horizontale Ausrichtung des Raumes antwortet und Desgranges horizontale Pinselführung aufgreift.

Eine weitere malerische Seite bei Klaus Schmitts Werk offenbart sich nicht zuletzt in den weißen Papierrissen. Ein abstraktes "all over", das sich in tachistischen Klecksen über die Holzleisten-Unterzeichnung ausbreitet. Und fragte man mit nach einer Grunddefinition der Malerei, so käme man auf die Konstituenten: Farbe auf Bildträger + Lichteinfall. Ob weiß eine Farbe ist, darüber ließe sich jetzt trefflich streiten - dass Klaus Schmitt mit seinen weißen Papierrissen vor der Fensterfront das Licht thematisiert, ist dagegen unstrittig; sichtbar und erlebbar, wenn man zu unterschiedlichen Tageszeiten die Ausstellung besucht. Inwiefern Schmitt nicht nur malerisch denkt, sondern auch arbeitet, lässt sich in den Editionen der beiden Künstler_innen erkennen.

3. Vorwurf: Soll das jetzt Skulptur sein oder was?
An den Skulpturenbegriff lässt sich bei Klaus Schmitts Werk zweifelsohne leichter denken, als bei Claudia Desgranges. Wir haben ein gebautes Volumen vor uns, wenn auch recht flach und "bildhaft". Was wir bei diesem flachen Volumen jedoch berücksichtigen müssen, sind die Räume, die es ausschneidet und somit produktiv einbindet: Zum einen der Raum hinter dem Holzträger, zur Außenwand hin. Zum anderen aber auch das neue Raumvolumen, welches sich an der Schnittkante mit der ebenfalls schräg zulaufenden Decke ergibt. Die Schräge des Daches und die Schräge des angelehnten Einbaus von Klaus Schmitt gestalten das Volumen des Ausstellungsraumes neu. Hierin zeigt sich das skulpturale bzw. plastische Denken des Künstlers: Im Hinzufügen seiner hölzernen Raumzeichnung schneidet er von dem Raum etwas weg, thematisiert und modelliert dadurch die Raum-Volumina neu. Klaus Schmitt, der Bildhauer? Fokussieren wir mit diesem Begriff erneut die weißen Papier-"Kleckse", erkennen wir auch in den Rissen die Praxis des Hinzufügens und Wegnehmens. Die Knicke und Falten in den Papieren selbst zeigen ebenfalls plastische Verformungs-Prozesse; und da, wo sich die flach aufgespannten Bahnen aus der Tacker-Klammerung lösen, sich wölben und in den Raum biegen, markieren die Papiere eigene Volumina und gestalten Zwischen-Raum.

Skulpturales Denken im Werk von Desgranges? Offensichtlich bekennt sich die Künstlerin zur Fläche, zur Zweidimensionalität des glänzenden Papiers. Ihr Farbauftrag simuliert keine Tiefe, Zentralperspektive & Co. sind abgeschafft. Doch stellt man sich schräg zu einzelnen Blättern und blickt im Streiflicht auf die Farben, erkennt man eine mitunter plastische Oberfläche und reliefartige Struktur. Claudia Desgranges, die Bildhauerin? Mitnichten, nein. Doch ein skulpturales Gespür und eine Sensibilität für Volumenmodellierung ist der Hängung und ihrem Umgang mit dem Raum des Brühler Kunstvereins eingeschrieben. Wie auf einer Sockelzone ruhen die Papierbahnen. Und insbesondere an dem schmalen Vorsprung beweist sich ein räumliches, vielleicht "ebenfalls" konstruktivistisches Farbdenken. Die strenge Horizontale des Pinselstrichs wird unterbrochen, ja aufgebrochen von der überlenkten Vertikalen des "verspringenden" Kunstvereins. Eine vermeintliche Gegenbewegung, welche den Besucher in Bewegung versetzt. Denn ist einerseits die Variation der 100 einzelnen Blätter zu weitläufig präsentiert, als dass man sie im Sinne eines Gesamtbildes von einem Standpunkt aus erfassen könnte, ergeben sich beim Durchschreiten des Raumes und der eigenen Wahl differierenden Standpunkte andererseits unterschiedliche Perspektiven auf Desgranges' Hängung. In der extremen Diagonalen lässt sich der Vorsprung "wegsehen" und es scheint, als erstrecke sich die horizontale Farbkomposition über eine glatte Wand. In knapper Distanz zum Mauervorsprung streben die malerischen Randzonen einzelner Blätter auf einen zu oder von einem weg, während bei gemäßigter Schrägsicht einzelne Werke ineinander schwimmen. Waren - im Gegensatz zur "überschaubaren" und augenfixierten Tafelmalerei - insbesondere Architektur und Bildhauerei Augen- wie Fußsachse und nur im Gehen zu erfassen, so versetzt uns die Malerin Desgranges mit ihrer Arbeit im Brühler Kunstverein ebenfalls in Bewegung. Statt als Künstlerin einen "Gesichtspunkt" vorzugeben, ist der Besuchende aufgefordert, eigene Einstellungen zu wählen. Der schmale Versprung, Störenfried der glatt-horizontalen Perfektion, wird als "Dynamisator" produktiv eingebunden.

Zudem folgt die Hängung der Papierbahnen nicht der Mittelachse der Wand, sondern verschiebt den Horizont der Alten Schlosserei leicht nach oben. Ein sensibler Coup, der gerade im Zusammenspiel mit Klaus Schmitts geerdeter Struktur wunderbar funktioniert, den Ausstellungsraum leichter, lichter und höher wirken lässt. Unsere Blicke werden von beiden Künstler_innen auf die horizontale Ausrichtung des Raumes verwiesen, werden im nach oben verschobenen Horizont von Desgranges' Hängung vertikal aber auch zur Schräge des Daches geführt, folgen ihr bis zu eingezogenen Schräge von Klaus Schmitts "Raumtangente" und werden von dieser zum Boden abgeleitet, von wo aus sie zurück zur Malerei wandern können: Das dialogische Tripel Desgranges, Schmitt, modellierter Zwischenraum.

4. Vorwurf: Aber das ist ja jetzt gar nicht politisch!
In "Die Aufteilung des Raumes" legt der französische Philosoph Jaques Rancière dar, dass es verkürzt sei, von politischer Kunst zu sprechen, wenn diese "politische" Themen zum Inhalt wähle. Politik sei keine Frage des Themas, sondern eine Frage der Verhandlung. Erst dann, wenn Menschen miteinander in einen Verhandlungsprozess eintreten, das affirmative Nicken im allgemeinen Konsens gestört würde, nur dann geschehe Politik. Kunst ist damit per se politisch, da etwas "Gemachtes" - ob Bild, Plastik, Musik, Text - nur im Verhandlungsprozess zur "Kunst" werden kann. Der große Vorteil der Kunst ist, dass niemand weiß, was Kunst ist und doch jede_r ein Gefühl und den Wunsch in sich trägt, dieses oder jenes als "Kunst" bzw. kunstvoll zu betrachten und bezeichnen. Im Umkreisen der leeren Mitte "Kunst" wird zwischen Herz, Kopf und Bauch ausgehandelt, was Kunst ist - in einem selbst und in der Gemeinschaft. Schauplätze und Versammlungsstätten der Verhandlungsprozesse sind das Museum, die Zeitungen, die Galerien, Kunstvereine und so weiter. Die Ausstellung ist demnach nicht der utopische Raum des klinisch-gleißenden Weiß und fließenden Sekts, sondern zentraler Ort des Politischen und der Gemeinschaft. Ein Raum anderer, eigener Logik, eine Heterotopie, wenn man so will, aber kein Wolkenkuckucksheim des Schönen - selbst wenn es in einer Ausstellung explizit um "Schönheit" ginge, denn was ist "schön"?

Zudem ist aber auch die Art und Weise, wie ein Künstler, eine Künstlerin das Material formt, Positionierung zur Welt und Weltverhandlung - auch dann, wenn die Malerei "nur" Farbe auf Malgrund oder eine Installation "nur" Baulatten und Papierbahnen zur Verhandlung stellt; das Atelier bleibt grundsätzlich ein Freiraum, jenes oder dieses zu wählen, es so oder so zu machen oder eben nichts zu machen. Genau das unterscheidet ihn von einer Fabrik.

Und zuletzt ist die öffentliche Form Ausstellung, das seine Werke zur Diskussion stellen und in die Diskussion einbringen, die künstlerische Teilnahme am Verhandlungsprozess. Wie dies geschieht, wie die Künstler_innen in einer Ausstellung miteinander, mit den Besucher_innen und mit dem Raum umgehen, bedeutet ebenfalls Stellung zu beziehen bzw. eine Ein-Stellung zu wählen.

Der Dialog zwischen den Werken von Claudia Desgranges und Klaus Schmitt zeugt nicht nur von jahrelanger Erfahrung und die Sicherheit im eigenen Formungsprozess, sondern zeugt auch vom Blick für die Qualitäten des anderen. Er zeugt von der künstlerischen Freude des miteinander Verhandelns im Raum, macht Momente der Einstimmigkeit und des Widerspruchs sichtbar. Zudem räumt er sich so in den Raum des Brühler Kunstvereins ein, dass selbiger zum dritten Akteur wird und das "Doppel" zum Trio erweitert. Und es wird uns, den Besuchenden, Raum eingeräumt, körperlich teilzunehmen, zwischen die Kunst zu treten und sie uns zu ergehen. Sollte sich dabei in Ihnen etwas zwischen Herz, Kopf und Bauch ereignen - nur raus damit. Vom Duo zum Vieltett, vom Monolog zum Dialog zur Verhandlung. Kunst.

Michael Stockhausen, Kunsthistoriker
 

Bilder von der Eröffnung


Gaby Zimmermann begrüßt die Künstler Klaus Schmitt und Claudia Desgranges sowie den
Kunsthistoriker Michael Stockhausen (von r.n.l.)



Michael Stockhausen stellte in seiner Einführung vier Vorwürfe gegen die Ausstellung auf,
die er jedoch sogleich kenntnisreich und pointiert entkräftete.



Ein gewohntes Bild in der Alten Schlosserei - viele Besucher bei der Vernissage




Bilder der Ausstellung


Skulpturales Objekt von Klaus Schmitt über eine ganze Wandseite


Die gegenüberliegende Wand ist bedeckt mit Malerei von Claudia Desgranges


Das einfallende Sonnenlicht wird durch die Skulptur von K. Schmitt gefiltert.





Klaus Schmitt, Center, Aquarell und Farbstift, 30x40 cm, 7 Unikate je 480 Euro

Fotos: G.M.Wagner